Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
Sachen zu leisten. Ich denke an all die verschwendeten Ferien meiner Kindheit, in denen ich mich von Grannys Kleidern hätte inspirieren lassen können. Krähe und Yvette blicken sie ehrfürchtig an, als hätte Granny von heiligen Reliquien gesprochen.
»Kann ich sie sehen?«, flüstert Krähe so leise, dass die Worte kaum aus ihrem Mund rauskommen.
»Besuch mich und bleib eine Weile«, erklärt Granny gebieterisch. »Nonie kann dir Gesellschaft leisten. Ich habe mir den Plunder seit Jahren nicht mehr angesehen, auch wenn mein Bankberater mir weiß Gott oft genug rät, ich soll sie verkaufen. Da sind ein paar Abendkleider, die du interessant finden könntest. Und ein paar Jacken. Ein wenig Ungaro und etwas Chanel. Saint Laurent, natürlich. Anders als Mutter war ich Dior nicht immer treu. Es macht dir Spaß, die Techniken zu studieren, nicht wahr, mein liebes Kind? Es wird dir bestimmt gefallen.«
Krähe schweigt für den Rest des Essens. Ich sehe ihr an, dass sie von Grannys Couture-Lager träumt. Ich glaube, Florence hat während des ganzen Abends kein Wort gesagt. Auch Mum und ich sind still. Zeit mit Granny zu verbringen ist für uns immer ziemlich anstrengend. Granny und Yvette dagegen kleben zusammen wie alte Schulfreundinnen und schmieden Pläne, sich bald wieder zu sehen, in einem Bistro, das Yvette kennt, wo richtiger Café crème serviert wird.
»Was ist mit Rebecca?«, flüstere ich Krähe zu, als wir auf dem Rückweg vom Ritz wieder im Taxi sitzen. »Sollst du ihr nichteine neue Fuhre Kleider liefern? Du weißt, dass sie die letzte gerade verkauft hat.«
Ungerührt zuckt Krähe die Schultern und sieht aus dem Fenster. Ich bin schockiert. Sie kann ziemlich rücksichtslos sein, wenn sie weiß, was sie will. Rebeccas Kunden müssen warten.
Wenn ich Krähe wäre, hätte ich schreckliche Skrupel, Leute vor den Kopf zu stoßen, aber in ihrer Welt scheint alles erstaunlich einfach zu sein. Mir kommt der Gedanke, dass sie Rebecca wahrscheinlich nicht mal Bescheid sagt, dass sie wegfährt. Das muss der Hol- und Bringdienst für sie erledigen.
Den Rest der Fahrt zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie ich die schlechten Nachrichten am besten verpacke. Krähe lehnt den Kopf ans Taxifenster und schläft nach zwei Minuten ein, eindeutig in Gedanken bei Dior, denn sie hat ein kleines, glückliches Lächeln auf den Lippen.
Bevor wir zu Granny fahren, lassen sich Krähe und Jenny ein Kleid für die National Film Awards einfallen, damit Jenny ausnahmsweise nicht wie ein buckliger Mutant aussieht. Yvette kommt vorbei, und unter Grannys Aufsicht zeigt sie Krähe, wie sie die Schneiderpuppe auf Jennys genaue Maße aufpolstert, um die Stoffstücke anzupassen, aus denen sich das Kleid zusammensetzt.
Das Kleid wird nicht ganz so luftig und verträumt wie die Teile, die Krähe bisher entworfen hat. Es soll aus einer engen taillierten Korsage und einem Rock mit vielen Unterröcken bestehen. (»Sehr New Look «, urteilt Granny begeistert. Dior, nicht Street Fashion.) Skye und Krähe unternehmen eine ausgedehnte Shoppingtour, um die perfekte Seide zu finden, aus der es genäht werden soll, und Jenny bezahlt das Material mit einem BOMBASTISCHEN Scheck.
Nach den Ferien bei Granny hat Krähe nur noch zwei Wochenzum Nähen. Aber sie scheint, wie immer, ganz zuversichtlich, alles zu schaffen. Ich finde es immer noch unglaublich, dass wir uns auf eine Zwölfjährige verlassen, die Jenny aus ihren Mode-Albträumen retten soll. Doch das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie auf dem roten Teppich lächerlich aussieht, dass der Junge, auf den sie steht, sie ignoriert und dass Tausende von Menschen sich in Zeitschriften und im Internet das Maul über sie zerreißen. Und das hat sie alles schon hinter sich.
Für den Rest der Ferien hatte ich alle möglichen Pläne – jede Menge Freunde treffen, ein Festival, das ich besuchen wollte, und ein paar vielversprechende Partys. Doch das war, bevor Krähe mein Leben übernommen hat. Granny wohnt weit draußen auf dem Land, und es gibt meilenweit kein Café oder Kino. Die nächsten Dorfbewohner könnten einen Smoothie wahrscheinlich nicht von einem Gesichtspeeling unterscheiden. Ich sehe eine so unerträgliche Langeweile voraus, dass ich sogar die Leseliste fürs nächste Schuljahr einpacke, damit ich schon mal mit der Lektüre anfangen kann.
Krähes Ranzen ist noch schwerer als meine Tasche, und nachdem ich ihn vom Auto in ihr neues Zimmer geschleppt habe, muss ich einfach
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