Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
sofort die Kamera raus und beginnt rumzuknipsen. Edie und ich machen uns auf die Suche nach Krähes Stand. Nach wenigen Metern bleibe ich bei ein paar Mädchen hängen, die tolle neonfarbene Armreifen verkaufen, und dann an einem Stand mit ziemlich unwiderstehlichen Donuts. Ich merke erst, wie die Zeit vergeht, als Edie mich am Arm packt und zur hintersten Ecke des Platzes zieht, wo am allerkleinsten Stand von allen das Mädchen mit den Elfenflügeln steht.
Sie ist ein lustiger Anblick. Ihr Kopf wirkt viel zu groß für ihren Körper. Sie hat ein rundes Gesicht und einen breiten Mund, der aussieht, als wäre er zum Lächeln gemacht, aber sie hat ihn die ganze Zeit konzentriert gespitzt. Die Haare trägt sie als wilden Siebzigerjahre-Afro, auf den sie heute zwei Häkelmützen gesetzt hat, nebeneinander. Sie sehen toll aus. Ihre Haut glänzt und ist wunderschön und pickelfrei. Jenny wäre soooo neidisch. Vom Hals aufwärts sieht sie aus wie eine göttliche Soul-Sängerin. Von den Schultern abwärts sieht sie aus wie ein knochiger junger Vogel. Abgesehen von ihren Händen, die wunderschön sind. Sie hat die längsten, anmutigsten Finger, die ich je gesehen habe.
An ihrem Stand herrscht ein ziemliches Durcheinander. Sie hat nur einen Tisch, und darauf sind bunte Fetzen aus billigem Nylon verstreut. Als wir kommen, hebt sie nicht mal den Kopf. Sie sitzt über ihrem Notizblock und zeichnet eifrig. Falls sie hofft, was zu verkaufen, lässt sie es sich nicht anmerken.
Ich nehme einen der Stofffetzen in die Hand.
»Wie geht’s?«, fragt Edie.
Mit zusammengezogenen Brauen sieht Krähe auf. Naomi Campbell an einem schlechten Tag. Sie sieht Edie an und zuckt die Schultern. Ich schätze, das Geschäft läuft nicht gerade fantastisch.
»Hey! Piepmatz!«
Hinter uns ruft jemand. Als ich mich umdrehe, sehe ich drei ziemlich hübsche blonde Mädchen aus der Oberstufe in aufeinander abgestimmten Miniröcken und tief ausgeschnittenenHemden, die so geknöpft sind, dass sie ihre flachen, gebräunten, nackten Bäuche und Bauchnabelpiercings zur Geltung bringen. Sie grinsen zu Krähe herüber. An ihrem Stand verkaufen sie Patchworkhandtaschen. Eigentlich ganz hübsch. Doch ich komme mir wie eine Verräterin vor, weil ich das denke.
»Na, einen Kunden gefangen? Oho, Piepmatz. Du Glückspilz! Du verdienst dich noch dumm und dämlich.«
Sie wiehern vor Lachen und finden sich ungeheuer geistreich.
»Sind die immer so?«, fragt Edie empört.
Krähe zuckt wieder die Schultern. Schulterzucken scheint ihr Hauptkommunikationsmittel zu sein. Auch ich bin empört. Ich weiß, wie sich das anfühlt.
»Schöne Mützen, Piepmatz!« Wieder lachen sie wiehernd. Dann dreht sich eine zu ihren Freundinnen um und sagt ganz laut: »Wisst ihr noch, als sie den goldenen Umhang anhatte? ’ne richtige kleine Wonder Woman, was, Piepmatz? Zu schade, dass er in dem bösen Gully gelandet ist.«
Sie kreischen vor Lachen und halten sich aneinander fest. Ich kann mir schon vorstellen, wie der Umhang in dem bösen Gully gelandet ist. Doch Krähe zeichnet einfach weiter und lässt sich nichts anmerken. Als wären sie gar nicht da. Anscheinend regt sie die Mädchen viel mehr auf als die Mädchen sie.
Wobei Edie und ich uns inzwischen von allen am meisten aufregen.
Edie nimmt eins der Nylon-Teile in die Hand.
»Was kostet das hier?«, fragt sie.
»Fünfzig Pence.« Krähe flüstert beinahe und sieht kaum auf.
»Ich nehme drei«, sagt Edie laut. »Nonie, wie steht’s mit dir?«
»Oh, ich auch«, stimme ich ein. »Und dazu das hier.«
Unter all den Nylonstücken sticht etwas himbeerrotes Gestricktes hervor. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich zahle gerne zwei Pfund dafür.
»Und ich nehme auch eins«, meldet sich eine Stimme hinter mir. Es ist Harry. Er wirkt ganz locker, aber an der Art, wie er atmet, merke ich, dass er sich genauso aufregt wie wir.
Verblüfft fängt Krähe an, die Sachen in Tüten zu packen und unsere Geldstücke einzusammeln.
»Wir sind von der Zeitschrift Teen «, erklärt Edie nach einer kurzen Pause noch lauter. »Meine Freundin hier ist unsere Stylistin und das ist einer unserer Fotografen. Wir finden deine Sachen toll und würden dich gern in der nächsten Ausgabe porträtieren. Schade, dass alles andere hier so ein SCHUND ist. Hier ist meine Karte.«
Sie reicht Krähe etwas, das sich bei näherem Hinsehen als ihr Bibliotheksausweis entpuppt. Dann dreht sie sich um und rauscht davon, und ich rausche hinter ihr her, während
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