Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
Klamotten im Supermarkt. Die meisten meiner Sachen mache ich selbst. Oder ich finde sie in Secondhandläden. Oder »borge« sie mir von Mum. Na gut, wenn ich sie nicht gerade von Krähe oder Roksanda Ilin č i ć oder andern Designern geschenkt bekomme, aber das gehört eben zu meinem Job.
» Nonie? Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja«, lüge ich. »Du hast gesagt, es passiert überall auf der Welt.«
»Genau. Und deshalb starte ich eine neue Kampagne. Phil hat Recht. Wir können nicht tatenlos zusehen.«
»Phil?«
»Von No Kidding«, blafft sie. »Schon vergessen?«
»Sag nichts. Du machst T-Shirts. Mit Slogans. Und verkaufst sie.«
Das hat sie schon mal getan. Ich kenne den Ablauf.
»Ja, das tue ich. T-Shirts aus fairem Handel, für die wir einen guten Preis zahlen. Aus Baumwolle aus fairem Handel von Leuten, die nicht ausgebeutet werden. Ich bin gerade dabei, den Slogan aufzusetzen. Ich wollte ›Keine Modeopfer mehr‹ machen, aber das hat mir Katherine Hamnett weggeschnappt.« Was Edie Katherine Hamnett ziemlich übel zu nehmen scheint. »Jetzt bin ich bei: ›Billigmode kostet Menschenleben‹.«
Edie denkt sich gerne Slogans aus. Ich versuche mir auszumalen, wie ich Amanda Elat bei der Preismargen-Besprechung davon erzähle. Keine schöne Vorstellung.
»Äh, ich nehme an, du kannst damit nicht warten, bis Krähe ihre zweite Kollektion fertig hat und Andy Elat nicht so …«
»Ja, klar«, sagt Edie. »Kein Problem. Ich lege einfach die Füße hoch, während KLEINE KINDER in ihren SKLAVENFABRIKEN noch ein paar schicke Fummel für modesüchtige Teenager nähen.«
»Ich nehme an, das heißt nein«, sage ich.
Sie seufzt. »Außerdem. Da ist noch was, das ich dir sagen muss.« Ihr Ton verändert sich und sie redet so leise, dass ich die Ohren spitzen muss, um überhaupt etwas zu hören. »Ich bin von einem Ethik-Blog für einen Preis für soziales Engagement nominiert worden. Ich meine, da kann ich solche Fotos nicht einfach ignorieren, oder? Nicht wenn es heißt, ich wäre ein ›junges Vorbild für das Engagement gegen Armut und Ungerechtigkeit auf der Welt‹.«
»Donnerwetter! Edie? Ein PREIS?«
Es klingt fast so, als ob es ihr peinlich ist. »Nur eine Nominierung. Und die anderen Nominierten sind ziemlich beeindruckend.«
Dann zählt sie die Konkurrenz auf. Ein Jurastudent aus Brasilien, der den Regenwald rettet, ein Gymnasiast aus Arizona mit einem rekordverdächtigen IQ, eine indische Nonne (ja, wirklich) und ein Typ aus der Ukraine, der nach der Tschernobyl-Katastrophe vor fünfundzwanzig Jahren radioaktiv ist und bestimmt gewinnt. Mein Gott, Edie lebt in einer aufregenden Welt. Ich meine, Marc Jacobs ist mein Held, aber er kann nicht von sich behaupten, dass er radioaktiv wäre. Nicht dass so was erstrebenswert ist.
»Außerdem ist es nicht der Hauptpreis«, fährt Edie fort. Es scheint ihr wirklich peinlich zu sein. »Es ist nur der Nachwuchspreis.«
»O MEIN GOTT!«
»Nonie? Was ist passiert?«
Die Frage ist eher, was passieren wird . Das Stichwort »Nachwuchs« hat mich daran erinnert: Ich habe ein DATE mit meinem Beinahe-Freund, und zwar in ZWEI STUNDEN! Wo hatte ich bloß meinen Kopf?
»Ich muss gehen. Alexander … Aber gut gemacht. Und viel Glück. Und mach die T-Shirts auf jeden Fall. Ich kaufe auch eins. Und das mit Krähe wird schon. Ich muss nur …«
»Oooh, Alexander«, ruft sie aufgeregt. »Halt den Mund und zieh ab! Um alles andere kümmern wir uns später. Und versprich mir, dass du dich amüsierst, okay?«
Deswegen bleiben wir Freundinnen. Sie kann von Retter der Welt zu ganz normalem Teenager umschalten, einfach so. Und sie versteht, wie süß mein Beinahe-Freund ist.
Neunzig Minuten später stehe ich in Krähes Atelier und starre mich selbst im Spiegel an. Auch Krähe starrt, Nadel in der Hand für den Fall, dass irgendwelche Änderungen in letzter Minute gemacht werden müssen.
Dann schenkt sie mir eins ihrer seltenen sagenhaften Lächeln.
»Ich glaube, wir haben es«, sagt sie.
Ja. Sie hat mich vom Flokatizwerg in eine glamouröse Königin der Nacht verwandelt. Ich stecke in einem traumhaften knielangen silbernen Kleid, in dem ich mindestens wie achtzehn aussehe. Ich habe richtige erwachsene Nylonstrumpfhosen an, ganz ohne Muster, Pailletten oder Laufmaschen. Ich trage nicht nur Stöckelschuhe, sondern PLATEAUS, die mir zehn kostbare Extrazentimeter verschaffen. Designerplateaus von Prada, die ich eines Tages meinen Kindern per Testament vermachen
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