Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
»Lass-mich-in-Ruhe-du-bist-nicht-der-mit-dem-ich-im-Moment-reden-will«, was ich eigentlich denke. Darauf ruft sie an und ich höre an ihrer atemlosen Schauspielerinnenstimme, dass sie gerade mit ihren Theaterfreunden geredet hat und ihr Leben plötzlich voller DRAMA BABY ist. Ich hoffe, in der Modebranche gibt es solche Allüren nicht, und wenn doch, will ich sie mir niemals zulegen.
»Caroline ist weg!«, ächzt Jenny.
Das wären ungeheuerliche Neuigkeiten, wenn ich die geringste Ahnung hätte, wer Caroline ist. Das sage ich Jenny.
»Die Stiefmutter! Also, die Schauspielerin, die die Stiefmutter spielt. Du kennst Caroline. Sie war letztes Jahr in Die Detektivin mit dem Lächeln . Und in dem anderen Streifen war sie Keira Knightleys Mutter.«
Verschwommen erinnere ich mich an Caroline aus »dem anderen Streifen«. Es war ein Kostümschinken und wir wollten die ganze Zeit Keira Knightleys jüngere Schwester sein, weil sie die allerschönsten Seidenkleider anhatte, die man sich vorstellen kann, aber dann ist sie leider nach der Hälfte des Films an irgendeiner schrecklichen altmodischen Krankheit gestorben.
»Warum ist sie weg?«
»Das wissen wir nicht!«
Jenny sagt es wie die Antwort auf meine Frage statt einer ziemlich nervenden Feststellung.
»Und warum erzählst du mir das alles?«
»Es ist total mysteriös! Der Produzent sagt, sie hätte private Probleme, aber heute Morgen hat sie mir noch erzählt, wie sehr sie sich auf die Spielzeit freut. In zweieinhalb Wochen soll es losgehen.«
Oh. Das klingt schlimm. »Sie sagen das Stück doch nicht ab, oder?«, frage ich mit plötzlicher Anteilnahme.
»Das ist das Komischste daran. Der Produzent sagt, sie sehen sich nach einem größeren Theater um. Er sagt, wenn wir im Boat House fertig sind, machen wir vielleicht an einer anderen Bühne weiter.«
Ich bin mir nicht sicher, was ich dazu sagen soll. Für jeden anderen wäre ein größeres Theater eine tolle Nachricht, aber der Grund, warum Jenny bei dem Stück mitmachen wollte, war ja gerade, dass das Boat House so klein und abgelegen ist.
»Äh, herzlichen Glückwunsch?«
»Danke«, sagt sie leicht verdutzt. Ich sehe sie vor mir, wie sie an ihrer Lippe nagt.
Ich glaube, sie hat angerufen, weil sie gerne hätte, dass es eine gute Nachricht ist, aber sie muss es erst von jemand anderem hören. Jetzt weiß ich endlich, was ich sagen soll, und dann versichere ich ihr ausführlich, dass sie nach ein paar Wochen im Boat House absolut perfekt sein wird und auf alles vorbereitet, was so kommen kann. Allmählich klingt sie immer weniger verdutzt und am Ende hört es sich tatsächlich fast so an, als würde sie sich freuen. Gott sei Dank habe ich Mum und ihre Lektion zum Thema »Wie man mit kreativen Menschen reden muss«. Man weiß nie, wann man so was gebrauchen kann.
Seltsamerweise muss ich das Gleiche zwei Minuten später noch einmal machen.
Edie ruft an, um zu erzählen, dass ihre Eltern, die beide Lehrer sind, heute Abend zum Elternabend müssen. Das ist halbwegs interessant, aber nach meiner Erfahrung keinen Anruf wert. Dann sagt sie, ihr kleiner Bruder Jake übernachtet bei einem Freund, und ob ich sehr viel zu tun habe.
Das habe ich natürlich – nach dem Kleid muss ich Erdkunde lernen und ich habe Britain’s Next Top Model aufgenommen –, aber ihre Frage ist offensichtlich ein Code für: »Darf ich bitte, bitte vorbeikommen?«, also lade ich sie ein.
Fünfzehn Minuten später steht sie sehr seltsam gelaunt vor der Tür und ich gehe mit ihr in die Küche, um heiße Schokolade zu machen. Würde ich Edie nicht besser kennen, würde ich sagen, sie hat einen Koffeinrausch. Sie ist ganz nervös und kann nicht still sitzen und tigert die ganze Zeit in der Küche auf und ab und fingert an zerbrechlichen Sachen aus Mums Kunstsammlung rum, und am Ende hängen alle Bilder schief.
»Alles klar?«, frage ich.
»Ja, ja«, sagt sie und macht ein verlegenes Gesicht.
Die Antworten auf meine nächsten drei Fragen sind »ja, ja« oder »ganz okay«. Das wird eine harte Nuss.
Zur gleichen Zeit ist Harry in seinem Zimmer und stellt die Playlist für seinen nächsten Auftritt zusammen. Er kommt nur in die richtige Stimmung, wenn die Musik EXTREM LAUT ist, und deshalb wackelt das ganze Haus. Die Nachbarn hassen uns. Edie macht ein paar Tanzschritte. Da ist etwas sehr Seltsames im Busch.
Dann fällt endlich der Groschen. Der Ethik-Blog-Preis. Findet dieser Tage nicht die Verleihung statt? Heute Abend vielleicht?
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