Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
auf und lässt sich in den Sesseln um den Konferenztisch nieder. Sie starren in ihre Cappuccinos und weichen unserem Blick aus (sehr schlechtes Zeichen). Dann kommt Andy Elat persönlich. Er unterhält sich mit einem Mann, den wir noch nie gesehen haben, und klingt sehr gut gelaunt. Doch er grüßt uns nicht. Extrem schlechtes Zeichen.
Als alle sitzen, tut Andy endlich so, als würde er Krähe und mich bemerken. Er nickt kurz in unsere Richtung. Falls er versucht bedrohlich und einschüchternd zu wirken, gelingt es ihm. Selbst Krähe sieht einigermaßen nervös aus. Ich ahne, dass sie Henry vermisst, bei dem sie sich unter dem Arm verstecken könnte.
»Das ist Paolo«, sagt Andy. »Mein neuer PR-Guru. Ich gehe davon aus, ihr kennt ihn, also muss ich euch nicht vorstellen.«
Alle am Tisch nicken, außer Krähe und mir. Ich habe noch nie von Paolo gehört und es wäre nett gewesen, wenn Andy uns vorgestellt hätte.
Paolo trägt einen dieser Bärte, die nur ein paar Millimeter lang sind und an David Beckham erinnern. Er ist ungefähr so alt wie Mum und hat dunkles Haar, hellbraune Haut und sehr rosa Lippen. Ich schätze, er ist Italiener und dass er wahrscheinlich braune Augen hat, aber das kann ich nicht sehen, denn er trägt eine undurchdringliche schwarze Panoramabrille, die den Großteil seines Kopfs bedeckt. Passend zu seinem schwarzen Rollkragenpullover, der weiten schwarzen Flanellhose und den glänzenden schwarzen Schuhen. Er sieht aus, wie ich mir einen russischen Leibwächter vorstelle. Hätte er eine Pistole im Gürtel stecken, wäre es zumindest kein Stilbruch.
Paolo wirkt superernst. Er hat den Kopf in unsere Richtung gedreht, weswegen ich annehme, dass er uns mustert, aber sicher sein kann ich nicht.
»Toll, Sie endlich kennenzulernen«, sagt die Frau, die ihm am nächsten ist, und streckt ihm die Hand entgegen.
Er sagt nichts, sondern steht auf und beugt sich leicht vor. Die Frau errät richtig, dass die Geste heißt, er will einen Kuss, keinen Handschlag. Also steht sie auch auf und küsst die Luft rechts und links neben seinem Gesicht, wie es in der Modebranche üblich ist. Den Bruchteil einer Sekunde frage ich mich, ob Krähe und ich ihn auch luftküssen sollen, aber ein Blick auf Andy Elat versichert mir, dass Küssen bei uns heute nicht auf dem Programm steht. Wir haben etwas Schlimmes angestellt und er wird uns den Kopf waschen.
Mir ist bewusst, dass wir seit unserem letzten Meeting mit Amanda nicht ganz so viele Fortschritte gemacht haben wie gehofft. Krähes Entwürfe sind immer noch genauso »erwachsen« und »kompliziert« wie zuvor und ich kann nicht behaupten, dass ich Edie überzeugt hätte ihre Website zu ändern. Wir waren mit Dates beschäftigt und mit Sigrid Santorini und Partykleidern. Außerdem gibt es da noch diese Fotos von No Kidding, die wir nicht einfach ignorieren können. Da fällt mir ein – Andy Elat ist sicher beeindruckt, wenn er hört, was für einen tollen Preis Edie gewonnen hat, oder?
Ich beschließe, das Gespräch mit etwas Positivem zu beginnen, also lehne ich mich zu Andy rüber und sage: »Wahrscheinlich haben Sie es noch nicht gehört, aber unsere Freundin Edie hat gerade einen Preis für ihre Website bekommen.«
Er erwidert meinen Blick ohne die Spur eines Lächelns in seinen knittrigen Augen und sagt, doch, lustigerweise hat er tatsächlich davon gehört.
Wow! Er weiß es. Yeah!
»Ist das nicht unglaublich?«, sage ich. »Sie freut sich riesig. Ihre Website bekommt jetzt so viele Besucher, dass sie schon zweimal abgestürzt ist. Edie sagt, sie muss ihren Server upgraden.« Nicht zu fassen, dass ich das gerade gesagt habe. Manchmal fliegen mir genau die richtigen Worte zu, wenn ich am wenigstens damit rechne. Ich klinge wie eine Expertin!
Ich will noch mehr ins Detail gehen, als Andy mit den Fingern schnippt, und ich halte den Mund.
»Genau«, sagt er. »Paolo?«
Paolo streicht sich über den Babybart. Paolo wartet, bis er die ungeteilte Aufmerksamkeit des ganzen Saals hat. Dann spricht Paolo.
»KATASTROPHE!«, erklärt er und funkelt uns durch die Sonnenbrille an. »Das muss aufhören.«
»Aufhören?«
»Stopp! Halt! Hört auf! Jeden Tag hat dieses Mädchen … dieses Schulmädchen … mehr Besucher auf ihrer Website. Mehr Publicity. Und jetzt dieser Preis. Tausende von Leuten gehen auf ihre Site. Inzwischen nicht mehr nur kleine Mädchen wie ihr. Reporter. Blogger. Modejournalisten. Ernst zu nehmende Leute . Sie lesen über Krähe. Sie lesen
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