Modemädchen Bd. 3 - Wie Sahnewolken mit Blütentaft
dir Sorgen um mich zu machen!«, stöhnt Jenny. »Die Rolle wird größer, nicht kleiner. Wochenlang haben sich die Produzenten mit dem Regisseur in den Haaren gelegen, und am Ende kamen sie zu dem Schluss, dass Elizabeth im Vergleich mit Margaret nicht interessant genug ist. Und sie brauchen eine fetzigere Zehn-Uhr-Nummer.«
»Eine was?«, frage ich.
»Die Zehn-Uhr-Nummer«, seufzt sie, als sollten wir wissen, wovon sie redet. »Der Song, der das Publikum nach der Pause mitreißt. Bevor das Finale kommt. Ihr wisst schon.«
Nein, wissen wir nicht, aber wir nicken trotzdem.
»Und jetzt darf ich ihn singen«, fährt Jenny mit glänzenden Augen fort. »Es ist die Stelle, als Prinzessin Elizabeth erfährt, dass ihr Vater gestorben ist. Sie ist gerade in Afrika, weit weg von zu Hause und ihrer Familie. Und in diesem Moment wird ihr klar, dass sie, wenn sie ihre kleinen Kinder wiedersieht, nicht mehr einfach ihre Mummy ist, sondern die Königin.«
»Wow«, sage ich. Noch mehr als die Geschichte beeindruckt mich das Leuchten in Jennys Augen.
Und es ist anscheinend die richtige Reaktion. »Jedenfalls ist da diese Stelle, als sie ihren Vater vermisst und Angst vor dem hat, was kommt. Sie wollte ja nie wirklich Königin werden – jedenfalls nicht in unserer Geschichte –, aber jetzt muss sie ihre privaten Gefühle beiseiteschieben und ihr neues Leben als Herrscherin ihres Landes antreten, und sie darf niemanden wissen lassen, wie schwer es ihr fällt. Das ist die Zehn-Uhr-Nummer.«
»Das soll ein Song sein?«, fragt Edie. »Sie packen das alles in einen Song?«
Jenny macht ein entrüstetes Gesicht. »In einen Broadway -Song. Da könnte man noch viel mehr reinpacken. Aber dieser ist besonders toll. Der Text ist wirklich ergreifend. Und Jackson hat eine wahnsinnig traurige Melodie dazu geschrieben. Ich muss jedes Mal weinen. Was gut ist, weil es zu meiner Rolle passt. Das Weinen, meine ich. Wir haben letzte Woche mit den Proben angefangen, und morgen treffe ich mich mit Jackson und Marty, dem musikalischen Leiter. Wenn ihr Zeit habt, müsst ihr auch kommen. Wenn die Fernsehleute euch reinlassen.«
»Die Fernsehleute?«, frage ich.
»Ja. Es wird so eine Art Reality-Show über Jackson. Wie ein Musical entsteht. Wie es auf dem Broadway zugeht. Das meiste wird bei ihm zu Hause gefilmt, wo er an den Songs arbeitet und mit Marty und den Produzenten redet, aber sie wollen ihn auch im Studio mit den Stars zeigen. Meinen Teil filmen sie im Theater. Oje. Ich muss los. Jackson will wissen, ob ihr heute Abend zum Essen kommen könnt. Kommt ihr? Ich schicke euch seine Adresse.«
Das war’s. Sie ist weg. Wir fühlen uns beide, als wäre ein Tornado über uns hinweggefegt. Ich hatte Edie eingeschärft Gloria auf keinen Fall zu erwähnen, bevor wir nicht ein wenig Zeit mit Jenny verbracht haben, aber die Gefahr hat gar nicht bestanden. Edie ist überhaupt nicht zu Wort gekommen.
Sie sieht mich perplex an.
»War das echt?«, fragt sie.
Ich nicke.
»Sie hat nicht mal gefragt, wie der Flug war. Oder wie es uns geht. Oder Isabelle. Oder sonst was. Es ging nur um Jenny.«
»Um fair zu sein«, wende ich ein, »sie hatte nicht viel Zeit.«
Edie schnaubt. »Sie hatte genug Zeit für die Zehn-Uhr-Nummer.«
Stimmt. Für die Zehn-Uhr-Nummer hatte sie reichlich Zeit.
Die nächsten acht Stunden sind mit die hektischsten meines Lebens. Edie ist wie eine Besessene. Sie hat ihren Reiseführer studiert, bis sie mit verbundenen Augen durch New York gefunden hätte, und sie schleppt mich von einem »Wahnsinns«-Moment zum nächsten. Eben bewundern wir die Freiheitsstatue durch das regennasse Fenster eines Ausflugsboots, im nächsten Moment stehen wir an der Baustelle vor Ground Zero und sehen zu, wie der Regen in das Loch fällt, wo einst die Zwillingstürme standen. Dann sind wir in der U-Bahn, wo wir uns nur kurz verirren, bevor wir endlich auf der Fifth Avenue landen, wo alle Geschäfte sind – oder, wie ich dazu sage, mein Elixier.
Dieser Teil macht Edie nicht ganz so viel Spaß wie mir. Edie findet sogar, dass es überflüssig wäre, Saks und Bergdorf Goodman und Tiffany und Abercrombie & Fitch anzuschauen, und sie meint, wir verschwenden wertvolle Museumszeit. Ich bin anderer Meinung. Ich scoute nach den besten Locations für Krähes zukünftige Kollektionen bei den Kamelhaarmännern. Ich beschließe, dass Bergdorf Goodman mein Favorit ist, aber ich muss erst noch zu Barneys auf der Madison Avenue, um ganz sicher zu sein. Erst als
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