Modemädchen Bd. 3 - Wie Sahnewolken mit Blütentaft
lächelt Jenny mich matt an.
»Hallo«, sagt sie und schiebt die Sonnenbrille hoch.
»Hallo, wie geht’s dir?«
Sie antwortet nicht. Stattdessen beobachtet sie einen Bären, der sich ins eiskalte Wasser gleiten lässt.
»Hierher komme ich immer, um nachzudenken«, sagt Jenny. »Es ist so schräg: zwei Eisbären mitten in New York City. Gus und Ida. Das sind jetzt meine Freunde.«
»Wir sind auch deine Freundinnen«, sage ich. »Und es tut mir leid wegen Edie, aber du weißt doch, wie sie ist … Außerdem hat sie mehr oder weniger gesagt, dass es ihr leidtut.«
Jenny lehnt sich ans Geländer und trinkt einen Schluck aus dem Becher.
»Wirklich?«, fragt sie. »Wieso denn? Sie hatte doch Recht, wie immer.«
Genau so was habe ich befürchtet.
»Jenny, es ist so sonnenklar, dass ich es gar nicht laut sagen muss«, fange ich an. »Was passiert ist – es ist nicht deine Schuld.«
»Was ist nicht meine Schuld?«
»Deine Mutter. Alles.«
»Das ist lieb von dir, Nonie. Aber so fühlt es sich nicht an. Außerdem – was ist, wenn ich das Gleiche habe?«
»Was?«
»Du weißt schon, wenn ich so wie meine Mutter werde.«
»Jenny! Nein!«
»Warum nicht? Was, wenn es in der Familie liegt?«
»Das kann gar nicht sein. Du bist so ein optimistischer Mensch, Jenny. Vertrau mir. Das passiert dir nicht.«
Sie lächelt mich mit Tränen in den Augen an. »Aber wenn es so wäre, dann wünschte ich, es wäre jemand bei mir. Es würde sich jemand um mich kümmern. Wenn ich in London wäre, könnte ich für sie da sein. Ihr helfen. Ich wollte zwar unbedingt weg, wollte alles hinter mir lassen, aber wenn Mum mich braucht …«
Sie beugt sich über ihren Becher, und trotz des schicken Haarschnitts und der Tom-Ford-Brille (oder besser Chanel-Brille – sie hat eine neue) sieht sie ganz klein und verloren aus.
»Gloria ist die Erwachsene von euch beiden«, erkläre ich. »Sie sollte sich eigentlich um sich selbst kümmern.«
»Aber was ist, wenn sie das nicht kann?«, flüstert Jenny. »Und was mache ich? Ich wache jeden Tag in diesem wunderschönen Haus auf und gehe ins Studio und singe diese schönen Songs …«
»Du hast gesagt, Gloria will, dass du deine Chance ergreifst.«
»Das will sie ja. Aber Edie hat Recht. Es war nur ein Vorwand. Ich sollte mit euch nach Hause fahren. Eigentlich weiß ich es selbst. Ich werde noch andere Chancen im Leben bekommen. Vielleicht nicht solche wie diese, aber … irgendwas kommt immer.«
Sie lächelt mich traurig an und nimmt meine Hand. Ich spüre, dass sie nicht mehr darüber reden will. Eine Weile sehen wir schweigend den Eisbären zu. Sie tun nicht viel. Eigentlich sind sie ziemlich langweilig. Einer von ihnen sieht mich seltsam an, und ich habe das ungute Gefühl, dass er meine Kunstpelzjacke mit einer knackigen Robbe verwechselt. Glücklicherweise scheint er zu faul, um auf die Jagd zu gehen.
Jenny dagegen kann sich nicht sattsehen.
»Ist es nicht toll, was sie für eine Energie haben?«, erklärt sie. »Sind sie nicht beeindruckend?«
Wenn sie beeindruckend im Sinne von todlangweilig meint, hat sie Recht. Wenigstens heitern die Bären sie irgendwie auf. Langsam bessert sich ihre Laune und sie kommt wieder in Schwung. Sie wirft einen Blick auf die Uhr.
»Oje. In einer Stunde ist Probe. Ich muss zum Theater. Willst du immer noch mitkommen?«
»Natürlich!«, sage ich. Doch sie sieht, dass ich zögere.
»Na gut. Bring Edie mit, wenn du willst. Sie stört ja nicht.«
»Danke«, sage ich und hole mein Handy raus.
Das Theater ist nur zwei Minuten vom Times Square entfernt. Ich sitze auf einem Platz in den hinteren Reihen und denke: »Donnerwetter, ich bin nur zwei Minuten vom Times Square entfernt«, während sich das Chaos um uns herum allmählich in etwas verwandelt, das an eine Gesangsprobe erinnert, was es ja auch sein soll. Aber man würde nicht sofort drauf kommen. Der ganze Saal ist voll mit Fernsehleuten und Equipment. Jedes Mal, wenn der Mann am Klavier ein Lied anfängt, muss er wieder abbrechen, weil der Sound nicht stimmt oder die Beleuchtung oder irgendwas anderes. Die ganze Zeit steht Jenny neben dem Klavier und sieht ernst und konzentriert aus, aber sie hält sich viel besser, als ich nach dem Eisbärtreffen befürchtet habe.
»Hast du ihr die Grüße ausgerichtet?«, fragt mich Edie nervös, die mit zwei Tüten voller Bücher und Poster aus der Frick Collection gekommen ist. Anscheinend ist es ein Kunstmuseum mit einer großen Sammlung. So was dachte
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