Modemädchen Bd. 3 - Wie Sahnewolken mit Blütentaft
Mal klar, dass Krähe mich braucht. Genauso, wie ich sie brauche. Und jetzt wird mir auch klar, wie sehr sie mich in der Zeit vermisst hat, als sie sich zurückgezogen hat, damit ich mehr Zeit zum Lernen habe. Als ich sie in die Arme nehme, wackeln ihre Ohren noch mehr. Sie drückt mich feste zurück. Ich bin froh, dass wir in unserer Familie große Umarmer sind.
Liam wirkt nicht besonders überrascht, als ich ihm alles erzähle.
»Aber ich dachte, dass sie mich nicht mehr nötig hat!«, protestiere ich.
»Zeigt nur, wie schrottig deine Menschenkenntnis ist«, entgegnet er und gibt mir einen tröstenden Kuss auf die Nasenspitze. »Früher hast du gedacht, ich finde es schrecklich, wie du dich anziehst, weißt du noch? Dabei habe ich gedacht, du bist zu cool, um dich ansprechen zu lassen. Bis zu dem Tag im Starbucks, als du deine Bestellung vermasselt hast. Das war lustig.«
»Aber früher war ich so gut darin!«
»Worin? Im Kaffeebestellen?«
»Nein. In Menschenkenntnis.«
»Wirklich?«
Er klingt nicht sehr überzeugt. Ich versuche mich zu erinnern. Ich bin mir ganz sicher, dass es mal eine Zeit gab, als ich genau wusste, was andere Leute denken. Doch als ich versuche ihm Beispiele zu nennen, fällt mir auf, dass ich meistens total danebenlag.
»Hast du schon mit deiner Mutter geredet?«, fragt er, indem er das Thema wechselt.
»Ja. Gestern. Über mein Lernprogramm in den Osterferien.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Nein?«
Ich weiß genau, was Liam gemeint hat. Vielleicht liege ich in vielen Dingen falsch, aber eins weiß ich sicher, und das ist, dass es sinnlos wäre, mit Mum darüber zu reden, warum sie Vicente vor all den Jahren nicht geheiratet hat. Sinnlos und schmerzhaft – als würde ich mir Nadeln ins Fleisch stechen.
Außerdem spielt es bald keine Rolle mehr. Mum schwebt auf der gleichen Liebeswolke wie ich. Ständig hat sie das BlackBerry in der Hand und tippt Liebesbriefe. Oder sie ist bei geheimnisvollen »Vernissagen«, von denen sie nie was erzählt. Ich bin ziemlich sicher, dass Vicente inzwischen regelmäßig in London ist, um sie zu sehen. Wahrscheinlich wartet sie nur, bis ich die Prüfungen hinter mir habe, bevor sie die Hochzeit bekannt gibt. Will mich in meinem »wichtigsten akademischen Jahr« nicht vom Lernen ablenken. Jetzt sind es nur noch ein paar akademische Wochen. In zwei Monaten wird sie mich zu einem kleinen Gespräch in die Küche bitten. Juhu.
»Ich rede bald mit ihr. Wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt«, sage ich zu Liam. Er seufzt frustriert und gibt auf.
Außerdem habe ich keine Zeit, mit Mum zu reden. Ich habe so viel Stoff zu lernen, dass ich eigentlich ein Jahr dafür brauchen könnte, aber ich habe nur noch sechs Wochen. Edie tut, als wäre sie auch gestresst, damit ich mich nicht so allein fühle, aber eigentlich ist sie wieder die Alte, und wir wissen beide, dass sie die Prüfungen mit links bestehen wird. Sie hat sogar noch etwas Freizeit, und ihre Eltern erlauben ihr wieder sich um ihre Web-Kampagnen zu kümmern.
»Die Idee mit den Schultaschen ist super«, erklärt sie in der Cafeteria nach der Shakespeare-Prüfung ein paar Wochen später. ( König Lear habe ich drauf. Total. Fragt mich was zu seiner Motivation – egal was. Das erste Mal in meinem Leben, dass mir eine Prüfung Spaß gemacht hat.) »Ich bin mit ein paar Leuten in Uganda in E-Mail-Kontakt. Krähe könnte weitere Kooperativen mit ins Boot holen, dann käme noch mehr Geld zusammen. Was ist denn?«
»Du siehst so anders aus«, sage ich. »Ich meine, nicht, dass ich dir nicht genau zugehört hätte, aber irgendwas an dir ist anders.«
Sie sieht zu Boden und grinst.
»Krähe hatte die Nase voll von meinen alten Kleidern und hat mir ein paar Sommerkleider gemacht. Gefällt es dir?«
Ich sehe mir das Kleid an. Es hat die raffinierten Falten und Abnäher, die Krähe in ihren Skizzen ausprobiert hat. Es wirkt ganz schlicht, aber Edies Figur sieht noch toller darin aus, als sie ist. Als ich ihr das sage, errötet sie leicht, bevor sie eine lange Rede über all die anderen Dinge hält, die sie vorhat, um Geld für Schulen zu sammeln und das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wichtig Bildung für Mädchen ist. Mit T-Shirts. Wenn Edie Kampagnen organisiert, gibt es immer T-Shirts.
Doch diesmal braucht sie die T-Shirts gar nicht.
Ich bekomme einen Anruf von Amanda Elat bei Miss Teen.
»Was ist das für eine Geschichte mit Krähes Taschen? Ich wusste nicht, dass Krähe Taschen
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