Moderne Piraten
Lösung grün. Prüfend hielt Krone sie gegen das Licht. »Jeder Zweifel ist ausgeschlossen, Gransfeld. Es ist bestimmt Heroin. Nebenbei bemerkt, reicht die Menge hier aus, um ein Dutzend Menschen ins Jenseits zu bringen. Irgendwelche vorschriftsmäßige Rezeptur oder Fabrikmarke ist auch nicht auf der Schachtel. Wie ist dein Oheim zu diesem Zeug gekommen?«
Gransfeld zuckte die Achseln. »Das möchte ich auch gerne wissen.«
Krone spülte seine Reagenzgläser aus und setzte sich wieder an den Tisch.
Rudi wurde hereingerufen und mußte dann die Gläser noch einmal füllen.
»Jetzt mimst du den Schweigsamen«, sagte Gransfeld. »Worüber denkst du denn nach?«
Krone nahm einen Schluck aus seinem Glase und begann dann zu sprechen: »Manchmal kommen mir Zweifel, Gransfeld, ob wir Ärzte noch ein Recht haben, uns Wohltäter der Menschheit zu nennen. Alle diese modernen Narkotika, Morphium, Kokain, Heroin und so weiter – in unsern Händen sind sie lindernde Mittel, die den Kranken unendliche Leiden ersparen: in den Händen von gewissenlosen Menschen – sagen wir ruhig von Verbrechern – drohen sie eine Geißel für die Menschheit zu werden. Was helfen die strengsten Vorschriften über den Verkehr mit diesen Mitteln, wenn habgierige Banden sich darüber hinwegsetzen und das Gift skrupellos unter die Leute bringen!«
Gransfeld unterbrach seinen Kollegen. »Du urteilst wohl zu schroff. Ich habe auch manches über den geheimen Rauschgifthandel gehört, aber du kannst uns Ärzte doch nicht dafür verantwortlich machen.«
»Vielleicht doch, Gransfeld. Nur allzu leicht gewöhnen sich die Patienten, denen wir damit Linderung verschaffen, an diese Mittel. Sind sie nachher unserer Obhut entzogen, dann können sie dem verderblichen Drange nicht widerstehen und fallen den Rauschgifthändlern in die Hände. Damit aber ist ihr Schicksal besiegelt, unaufhaltsamer körperlicher und geistiger Verfall ihr Los. Es klingt vielleicht hart, wenn ich es sage, aber dein Onkel hat nach meiner Meinung noch Glück gehabt, daß er solchem Ende durch einen plötzlichen Tod entgangen ist.«
»Du magst recht haben, Krone, aber auch hier muß der alte Satz gelten, daß der Mißbrauch den Gebrauch nicht ausschließt. Willst du etwa auf alle diese Mittel verzichten und deine Patienten unnötige Schmerzen erdulden lassen, nur weil gewissenlose Menschen mit diesen Mitteln Mißbrauch treiben?«
»Das nicht, aber …« Krone stockte einen Augenblick und fuhr sich nachdenklich über die Stirn. »Wir müßten die Patienten noch während der Behandlung so gründlich von diesen Mitteln entwöhnen, daß sie später gar nicht mehr in Versuchung kommen können. Ich habe da gewisse Pläne, Gransfeld. Die Serumtherapie könnte uns, glaube ich, eine Möglichkeit geben, die Patienten gegen alle späteren Versuchungen gefeit zu machen. Der gegenwärtige Zustand ist jedenfalls unhaltbar. Weit mehr als die Hälfte alles erzeugten Morphiums wird nicht von der ordentlichen Heilkunde, sondern von Leuten verbraucht, die dem Gift verfallen sind. Noch schlimmer steht es mit dem Kokain, dem Heroin und andern Mitteln.«
Die Dämmerung sank langsam herab, während die beiden Ärzte im Gespräch über diese für die Volksgesundheit so wichtige Frage zusammensaßen. Interessiert betrachtete Gransfeld das Zahlenmaterial, das Krone zur Unterstützung seiner Behauptungen herbeibrachte. Erstaunt hörte er an, was ihm dieser von dem internationalen Händlertum zu erzählen wußte. Gut organisierte, mit reichen Geldmitteln ausgestattete Banden sollten es sein, die sich die Gifte durch Bestechung, Diebstahl und andere ungesetzliche Mittel in großen Mengen verschafften, um sie mit ungeheurem Gewinn an die unglücklichen Opfer zu verschachern.
Erst als der Gong zum Diner rief, fand die Unterhaltung ein Ende. —
Öfter als einmal war Rudi während des Nachmittags in die Kabine von Doktor Krone gerufen worden und hatte auch die interessanten Experimente mit der roten und grünen Flüssigkeit mit angesehen. Was er dabei aufschnappte, war geeignet, seine niemals schlummernde Neugier mächtig zu erregen. Was hatten sich die beiden da drinnen erzählt? Es gab also Leute, die auf solche Tabletten und Pülverchen so versessen waren wie ein anderer Mensch etwa auf Schokolade oder auf ein gutes Glas Wein? Das war ja eine ganz merkwürdige Sache!
Noch während er das dachte, war Rudi aus der Koje geklettert und an seinen Koffer gegangen. Jetzt hielt er die Schachtel, die er damals dem
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