Moderne Piraten
wieder kam er auf den Kessel zurück. Angenehm war der Aufenthalt in dem Schlammloch ja nicht, aber man konnte in diesem Versteck wenigstens mit großer Deutlichkeit jedes Wort und jedes Geräusch hören, das im Saal aufkam. Ein Fehler nur, daß er dabei nichts sehen konnte. Wenn’s das gäbe, einen Platz, an dem er beides könnte; das wäre noch besser. Aber wie? Man würde etwas Neues suchen müssen. Wenn sich nichts Besseres fand, blieb immer noch der Kessel. Rübesams Verbot? Abah! Wenn’s doch durchaus nicht anders zu machen war! Rudis Logik begann sich auf krummlinigen Bahnen zu bewegen. Verbote sind dazu da, um übertreten zu werden. Der Zweck heiligt die Mittel. Hauptsache, daß er mit seinen Beobachtungen voran kam. Allerdings, der Chemiker konnte so unbequem scharf blicken und fragen. Aber Doktor Gransfeld? Der würde sich freuen, wenn er nun bald zurückkam und Rudi ihm dann Neues und Wichtiges erzählen konnte. Gransfeld würde nicht viel danach fragen, wie er’s erkundet habe. Nur eine gute Gelegenheit abgepaßt und dann: auf zur Tat! —
Im Heroinsaal waren Henke und Altmüller bei ihrer Arbeit. Henke ging zur Tür.
»Wohin willst du, Henke?«
»Nachsehen, ob der Bengel nicht rumschnüffelt.«
»Bengel? Rumschnüffelt? Was soll das heißen?«
»Soll heißen, daß die da oben es diesmal andersrum angestellt haben. Voriges Jahr haben sie einen ausgewachsenen Detektiv ins Werk gesteckt. Diesmal haben sie sich einen Säugling rangeholt.«
»Wen? – Was? – Wie?« stotterte Altmüller.
»Mensch, sei doch nicht so schwerfällig! Die Sache ist einfach die: Sie haben einen verdächtigen Bengel als Elektromonteur rausgeputzt und auf diese Art in das Werk gebracht. Der soll nun rauskriegen, was dem Detektiv aus Berlin vorbeigelungen ist. Na, der Lümmel ist uns von London sofort gemeldet worden; wir werden ihm sein Fett schon besorgen.«
Henke verschwand auf den Flur und zog die Tür hinter sich ins Schloß. Nach einer Weile kam er zurück. »So, Altmüller! Der Grünschnabel treibt sich anderswo rum. Die Luft ist rein. Ran an das Geschäft!«
Altmüller war totenblaß geworden. »Um’s Himmels willen, Henke, du wirst doch nicht? Ein Detektiv im Werk! Man wird uns kappen. Meine arme Frau, meine Kinder!«
»Quatsch!« unterbrach Henke seinen schlotternden Kumpan grob und zog ihn am Ärmel mit sich. »Altes Tränentier, los jetzt!«
Vor dem Stahlrohr, das zur Tablettiermaschine führte, kniete Henke nieder und drückte Altmüller einen Leinenbeutel in die Hand. Er selbst fuhr mit einem Steckschlüssel an der untern Seite des Rohres entlang, bekam eine verborgene Schraube damit zu fassen und begann sie herauszudrehen. »Schnell den Beutel drunter!« zischte er.
Mit zittrigen Fingern hielt Altmüller den Beutel, während Henke mit einer letzten Drehung die Schraube entfernte. Das Heroinpulver fiel in den Beutel, anstatt weiter der Tablettiermaschine zuzufließen. Zusehends füllte sich der Beutel, wurde dick und straff.
»Genug, Altmüller!« Mit treffsicherem Griff hatte Henke die Schraube wieder in das Gewinde gebracht und drehte sie mit dem Steckschlüssel fest hinein.
Altmüller, den vollen Beutel in der Hand, blieb bei ihm stehen. Henke sah es, während er dabei war, den Fußboden von geringen Spuren des danebengefallenen Pulvers zu säubern. »Bist du verrückt, Mensch? Bleibst wie ein Ölgötze mit dem Beutel in voller Beleuchtung stehen! Dumm genug, daß wir das Licht nicht ausdrehen können. Seitdem sie die Leitung nachgesehen haben, können wir’s nicht mehr wagen. Marsch, schnell, scher dich! Du weißt doch, wohin.«
Unter dem Zwange von Henkes Worten band Altmüller den Beutel zu und ging damit in die andere Saalecke hinter den leeren Kessel. Dort hatten sie unter einer lockeren Bodenfliese ihr Versteck für den entwendeten Stoff. Sorgfältig überputzte Henke mit einem Öllappen noch einmal die Umgebung der geheimen Zapfstelle. Dann ging er in die andere Saalecke zu Altmüller.
Da lag die Fliese herausgenommen auf dem Boden, der Heroinbeutel lässig hingeworfen daneben. Eine ungeheure Wut packte Henke, seine Fäuste ballten sich. Wollte der Schuft ihn verraten? War das eine abgekartete Sache? Sich auf ihn stürzen und ihn niederschlagen, das war sein erster Gedanke. Da traf sein Blick Altmüller. Zitternd vor Aufregung kniete dieser dicht neben dem leeren Kessel, das Ohr gegen die Kesselwand gepreßt.
Henke stutzte. Im Augenblick hatte er sich wieder in der Gewalt. Schnell brachte
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