Moderne Piraten
geübtesten Dechiffreuren dieser erfahrenen Behörde unmöglich war. Einstweilen wurde das Schriftstück zu den Akten genommen.
Erst auf dem Kanalboot nach Dover kam Mister Morton in die Lage, sich wieder einigermaßen standesgemäß anzuziehen. Am Vormittag traf er in seiner Wohnung in der Picadilly-Street ein, und als es Abend wurde, begannen die Mitglieder des Bundes sich dort zu versammeln. Viele waren es, die diesmal kamen. Etwas Bedeutendes mußte vorliegen, das den Chef veranlaßt hatte, seine wichtigsten Leute, soweit sie in Kürze erreichbar waren, zusammenzurufen.
Mit dem achten Glockenschlag eröffnete Mac Andrew die Besprechung. Viel häufiger als jemals in früheren Versammlungen gebrauchte er dabei das Wort »leider«. »Gentlemen, ich muß Ihnen leider mitteilen, daß in Port Said Verhaftungen vorgekommen sind. Die ägyptische Polizei hat unsern Agenten Tarantola geraume Zeit beobachtet. Sie hat fünf Unteragenten, die wegen der Ware zu ihm kamen, festgenommen und zuletzt ihn selbst verhaftet.«
Stimmengewirr unterbrach den Chef. Die ägyptische Polizei hatte plötzlich zugegriffen. Wie war das möglich?
»Leider, Gentlemen, ist es so. Es haben sehr genaue Nachrichten vorgelegen. Man hat auch die Vorräte Tarantolas beschlagnahmt.«
»Unmöglich!« – »Unerhört!« – »Verrat!« scholl es dem Sprecher aus der Versammlung entgegen.
Dieser gebot Ruhe. »Ich bin noch nicht zu Ende, Gentlemen. Die ägyptische Polizei hat auch unsern Agenten Rasati verhaftet, als er an Land war. Die Polizisten sind dann an Bord der ›Usakama‹ gekommen und haben seine Vorräte ebenfalls beschlagnahmt.«
Wieder wuchs Stimmengewirr empor. Ägyptische Polizei an Bord eines deutschen Dampfers? Unerhört! Von wem ging das aus? Hatte der deutsche Konsul da seine Hand im Spiele?
Mac Andrew wartete, bis der Lärm sich gelegt hatte. »Gentlemen, der deutsche Konsul in Port Said ist ein sehr korrekter Herr. Amtlich hat er mit der Sache nichts zu tun. Amtlich geht alles von dem neuen Kommandeur der ägyptischen Polizei in Port Said aus, den wir leider noch nicht bearbeiten konnten.«
»Aber inoffiziell?« – »Wie ist das zugegangen?« – »Was ist geschehen?« So kamen Fragen aus der Gesellschaft.
»Ich bin in der Lage, Gentlemen, Ihnen darüber Auskunft zu geben. Unser Mittelsmann in Port Said war zwar nicht mehr imstande, Rasati und Tarantola rechtzeitig zu benachrichtigen – seine Warnung kam leider eine halbe Stunde zu spät – doch er hat mir genauen Bericht über das gegeben, was wirklich geschehen ist.«
Während der letzten Worte hatte Mac Andrew ein Schriftstück aus der Tasche genommen. »Mister Perbrandt, der deutsche Konsul in Port Said, bekam einen Brief aus Deutschland. Ich habe die Kopie hier, Gentlemen.« Er deutete auf das Schriftstück. »In diesem Brief werden Rasati und Tarantola als gewerbsmäßige Händler bezeichnet, und es wird mitgeteilt, wo sie ihre Vorräte aufbewahren. Mister Perbrandt hat den Brief mit einem kurzen Anschreiben dem neuen Polizeikommandeur zugeschickt, und dieser – ich sagte ja bereits, daß wir noch nicht an ihn heran konnten – hat kurzerhand zugegriffen. So ist das geschehen, Gentlemen. Sieben von unsern Leuten sind verhaftet und ihre Vorräte beschlagnahmt worden.«
Wieder erhob sich Lärm. »Der Schuft!« – »Der Lump!« – »Wer ist der verräterische Hund?« – »An den Galgen mit ihm!«
Mac Andrew sprach weiter: »Sie wollen wissen, Gentlemen, wer den Brief geschrieben hat? Das kann ich Ihnen sagen. Der Brief ist unterzeichnet: Doktor Gransfeld.«
Ein kurzes Aufbrausen in der Gesellschaft, dann tiefe Stille. Alle, die hier versammelt waren, kannten den Namen. Sie hatten auch gehört, daß es ein gefährlicher Spion war, dessen Beseitigung die Organisation mit allen Mitteln betrieb.
Mac Andrew steckte den Brief wieder ein. »Gentlemen, wir dürfen die Gefahr nicht unterschätzen, die dieser Mensch für unsere Organisation bedeutet.«
»Der Schuft muß beseitigt werden, er und der verdammte Bengel!« unterbrach Morton.
Mac Andrew blickte ihn scharf an. »Ruhe, Mister Morton! – Gentlemen, zu der vorliegenden Sache möchte ich sagen, daß unsere Mittelsleute mit allen Kräften an der Arbeit sind, um die Verhafteten wieder loszubekommen. Leider – ich darf das nicht verschweigen – wird uns die Angelegenheit viel Geld kosten. Wir werden deshalb gezwungen sein, die Preise für unsere Ware zu erhöhen.«
Mac Andrew machte eine Pause, um das
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