Moderne Piraten
Bruchstücke der Unterhaltung.
»Mister Morton ist mit dem Frühzug nach Cluses gefahren – kann vor morgen abend kaum hier sein. – Ja, sein Gepäck ist noch hier.«
Megastopoulos rührte mechanisch mit dem Löffel in seiner Tasse, in der kein Tee mehr war. Die Polizei hier im Hotel und an Morton interessiert? Dieser mußte sofort gewarnt werden, durfte am besten gar nicht mehr ins Hotel zurückkommen. Doch wie sollte er ihn erreichen? Ob er ihm gleich nachfuhr? Megastopoulos verwarf den Gedanken, fand keine andere Möglichkeit, sann unschlüssig hin und her.
»Ein Telegramm für Monsieur Megastopoulos!« Der Ruf des Hotelpagen riß ihn aus seinen Gedanken.
»Ja, geben Sie her! Das ist für mich.«
Während er nach der Depesche griff, bemerkte er eine zweite in der Hand des Pagen und sah die Adresse: »An Mister Morton«.
»Die können Sie auch hier lassen. Ich gehe gleich nach oben und werde sie Mister Morton selber geben.«
Die beiden Depeschen in der Hand, eilte Megastopoulos auf sein Zimmer. Er riß die erste auf und las: »Dienstagabend 8 Uhr Picadilly-Street.« Erst jetzt sah er, daß es die für Morton bestimmte Depesche war, und öffnete nun auch die andere. Sie enthielt den gleichen Text.
Die Organisation rief sie beide nach London. Noch am Abend mußte er reisen, wenn er die Frist innehalten wollte. Was sollte aus Morton werden? Fuhr er allein fort, dann rannte dieser hier blindlings der Polizei in die Hände. Was sollte er tun?
Während die Stunden träge dahinschlichen, machte Megastopoulos sein Gepäck fertig und ließ es zum Bahnhof bringen. Er sah keinen Weg, Morton sofort zu erreichen. Nur die eine Möglichkeit blieb, einen Brief für ihn beim Portier zu hinterlegen. Wenn Morton morgen abend bei der Rückkunft dieses Schreiben gleich erhielt und wenn er sofort danach handelte, dann konnte die Sache vielleicht noch glimpflich ablaufen.
Megastopoulos setzte sich an den Tisch und schrieb den Brief. Ein ausführliches Schreiben wurde es, das Morton vor der drohenden Gefahr warnte und ihm riet, unverzüglich unter Zurücklassung seines Gepäckes Genf zu verlassen und schnellstens nach London zu kommen. Doch während der Grieche den Klartext Wort um Wort verschlüsselte, kamen ihm wieder Zweifel, ob das Schreiben seinen Zweck erfüllen würde. In Gedanken malte er sich aus, wie Morton morgen, vielleicht auch erst übermorgen, zurückkommen würde, je nach dem Ausgang des Unternehmens verdrossen oder in guter Laune. Er würde den Brief erhalten und natürlich gar nicht daran denken, ihn sofort zu lesen. Er würde auf sein Zimmer gehen und sich erst einmal den unvermeidlichen Whisky mit Soda bestellen. Ungenutzt würde er kostbare Viertelstunden verstreichen lassen, und inzwischen mußte das Verhängnis sich erfüllen.
Als Megastopoulos das Hotel verließ, um zum Bahnhof zu gehen, hatte er wenig Hoffnung, daß seine Warnung Morton rechtzeitig erreichte. Da bis zum Abgang des Zuges noch reichlich Zeit war, schlenderte er langsam durch die Straßen. Plötzlich stutzte er. An der nächsten Straßenecke erblickte er einen langen Touristen, der die genagelten Bergschuhe klirrend auf das Pflaster setzte. Schnell lief er auf ihn zu. »Gott sei Dank, daß ich Sie noch treffe, Morton!«
Der andere knurrte ihn zornig an. Seit Stunden hatte er sich in den Gedanken verrannt, daß der Grieche ihn wegen seines Mißerfolges verspotten würde, und war entschlossen, ihm sofort gehörig über den Mund zu fahren. »Weg sind die Hunde! Wie vom Erdboden verschwunden waren sie in Cluses«, knirschte er wütend und wollte weitergehen.
»Halt! Keinen Schritt weiter, Morton!«
»Nonsense, lassen Sie mich!«
»Mister Morton, die Polizei wartet im ›Hotel des Etrangers‹ auf Sie.«
Der Schotte stutzte, fragte und erhielt Antwort. In wenigen Sekunden wandelte sich sein Wesen. Aus einem blindwütigen, zu jeder Gewalttat bereiten Manne wurde im Augenblick ein klar denkender und überlegender Mensch.
»Well, Megastopoulos! Wir haben noch eine Stunde bis zum Abgang des Zuges. Ich werde zum Bahnhof vorausgehen und die Karten lösen. Sie müssen wohl oder übel noch einmal ins Hotel, mein Gepäck fertigmachen und die Rechnung bezahlen.«
So geschah es, daß Mister Morton in der Ausrüstung eines Alpinisten von Genf nach Calais fahren mußte und daß die schweizerische Polizei vergebens auf seine Rückkunft vom Arvegletscher wartete.
Sie kam nur in den Besitz eines chiffrierten Briefes, dessen Entzifferung auch den
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