Moderne Piraten
nenne ich einen glücklichen Zufall, daß wir uns hier in der Großen Oper treffen! Ich glaubte, Sie seien von Genf geradeswegs nach Deutschland zurückgefahren.«
»Das bin ich auch, Fräulein Rasmussen, doch gleich nach meiner Ankunft riefen mich dringende Geschäfte nach Paris.«
Susanne lachte. »Mir scheint, Herr Doktor, Sie entwickeln sich zu einem richtigen Globetrotter. Ägypten, Hamburg, andere deutsche Städte, die Schweiz, wieder Deutschland, jetzt Paris – vielleicht sieht man Sie nächstens auch in London oder Moskau.«
»Wäre nicht ausgeschlossen, Fräulein Susanne. Man kann nicht wissen, wohin die Geschäfte einen noch führen. Vorläufig gedenke ich einige Tage hierzubleiben. Es würde mich aufrichtig freuen, wenn ich Gelegenheit hätte, Sie noch einmal zu sehen.«
Einen kurzen Augenblick überlegte Susanne Rasmussen. Dann nickte sie. »Ich denke, das wird möglich sein, Herr Doktor. Wir wollen auch noch einige Zeit in Paris bleiben. Mein Vater ist ja hier in der Behandlung von Professor Morelle.«
»Professor Morelle, der berühmte Herzspezialist? Oh, Fräulein Susanne, ist Ihr Herr Vater krank?«
Ein Schatten flog bei Gransfelds Frage über ihre Züge. »Leider ja, Herr Doktor. Ich fürchte, mein armer Vater ist viel kränker, als er selber glaubt. Ich bin neulich bei dem Professor gewesen. Er hat mir natürlich nichts Bestimmtes gesagt, aber Sie müssen es ja am besten wissen, Herr Doktor, wie derartige Auskünfte beschaffen sind. Wer sich ein bißchen auf die Sprache der Ärzte versteht, der kann auch aus einer unbestimmten Mitteilung mancherlei heraushören.«
Auch Gransfeld war ernst geworden. »Fräulein Susanne, wenn Sie es wünschen, will ich gern einmal selbst zu Professor Morelle gehen und den Fall als Arzt mit ihm besprechen. Jedenfalls – das möchte ich Ihnen zu Ihrem Trost schon heute sagen – ist Ihr Herr Vater dort in den besten Händen. Morelle hat Kuren vollbracht, die an das Wunderbare grenzen.«
»Ach ja, Herr Doktor, ich wäre Ihnen so dankbar, wenn Sie das tun wollten! Wenn ich wieder hoffen könnte, daß mein armes Väterchen doch noch gesund wird!«
Ein Klingelzeichen kündete den Wiederbeginn der Vorstellung an. Susanne konnte Gransfeld nur noch mitteilen, daß sie mit ihrem Vater im Savoyhotel wohne. Morgen vormittag um elf Uhr wollte sie dort in der Empfangshalle sein. Ein Händedruck zum Abschied, und sie trennten sich.
Über dem Zusammentreffen mit Susanne Rasmussen hatte Gransfeld die Dimitriescu vergessen. Die Rumänin aber hatte ihn im Foyer mit Susanne zusammen gesehen und sehr genau beobachtet; dann hatte sie noch während der Pause die Oper verlassen. —
Der letzte Akt war vorüber, der Beifall verhallt. Gransfeld warf sich den Mantel über und trat auf die Straße hinaus. Es war eine herrliche Frühlingsnacht, zu schade, um sofort in das Hotel zurückzukehren, auch viel zu schade, um sich in einen dumpfen, geschlossenen Wagen zu setzen. Er beschloß, zu Fuß in sein Hotel zurückzugehen und einen kleinen Umweg am Seineufer entlang zu machen.
Wie wundervoll dies Wandern in der lauen Nacht durch Straßen und Plätze, wo auf Schritt und Tritt geschichtliche Erinnerungen wach wurden! Hier der Vendômeplatz mit der Napoleonsäule. Die hatte 1871 die Kommune umgestürzt. Dann war die Kommune gestürzt und die Säule wieder aufgerichtet worden. Jetzt lag weiter vor ihm die Place de la Concorde. Da hatte in der großen Revolution fünf Jahre lang die Guillotine gestanden. Welche Hekatomben waren hier unter dem Fallmesser einer Idee zum Opfer gebracht worden! Welche Leiden hatten diese Steine gesehen, welche Ströme von Blut getrunken!
Doch wer dachte wohl heute beim Lichterglanz der elektrischen Lampen, beim Getümmel und Lärm über den Platz jagenden Automobile noch an jene düsteren Zeiten? Gransfeld bog von der Place de la Concorde zur Seine ab. Hier zwischen dem Tuileriengarten und dem Fluß war die Straße dunkler und fast unbelebt. Langsam schlenderte er am Rande des Gartens entlang. Wo das Licht der Laternen in die Parkanlagen fiel, hoben sich reich blühende Gruppen von Rhododendren und Azaleen leuchtend vom Hintergrunde der immergrünen Boskette ab. Bewundernd blickte er auf den Blütenflor und bemerkte es kaum, daß hinter ihm ein Kraftwagen in langsamer Fahrt die Straße entlang kam. Jetzt hatte der Wagen ihn erreicht. Im nächsten Augenblick mußte er ihn überholen, als er plötzlich hielt. Die Tür sprang auf, zwei Fäuste ergriffen
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