Moderne Piraten
faßte hinein. »Alle Wetter, Beutel an Beutel!« Er hob den Sack an. »Der hat sich eingedeckt! Das Ding wiegt ja einen runden Zentner. Muß der Kerl gestohlen haben! Aber die Sache wird brenzlig. Höchste Zeit, daß hier etwas geschieht! Zu dumm, daß Herr Rübesam weggefahren ist! Wäre doch möglich, daß er mit dem Elf-UhrZug zurückkommt, sonst – sonst könnte er ja erst morgen kommen. Wenn ich auf den Bahnhof ginge, und er käme mit dem Zug, und wir gingen zusammen dann gleich hierher, dann könnte noch alles klappen. Ja, ich muß es versuchen!«
Der Arbeiter ging über den Platz und verschwand hinter dem Gasbehälter. Mit einer verblüffenden Gewandtheit schwang sich der Mann an der Fabrikmauer in die Höhe, saß einen Augenblick rittlings oben und sprang dann mit einem elastischen Satz nach der andern Seite ins Dunkle. —
Das Rattern und Stampfen der Tablettierpressen und Packmaschinen wurde von der polternden Stimme des Werkführers Moser übertönt. »Leute, ich rate euch, nehmt euch zusammen! Der Generaldirektor ist fuchsteufelswild. Er hat den Betriebsingenieuren schweren Krach gemacht. Wenn die Schweinereien nicht aufhören, hat er gesagt, dann schmeißt er die halbe Belegschaft hinaus. Denkt ihr etwa, ich hätte Lust, meine Stellung zu verlieren, weil hier Klaubrüder unter euch sind? Nee, meine Herrschaften, wenn’s dazu kommt, dann sollen erst andere fliegen. Da sollt ihr mich erst mal kennenlernen!« Je länger der Meister sprach, in um so größere Wut redete er sich hinein. »Es stinkt, Leute, ich sage euch, es stinkt was in der Bude. Unverschämt muß hier gestohlen werden. Aber ich will euch schon hinter die Schliche kommen! Wehe dem, den ich erwische!«
Der Wutausbruch des Werkmeisters wirkte auf die beiden Zuhörer verschieden. Altmüller stand blaß und schlotternd da wie das menschgewordene Schuldbewußtsein. Henke dagegen lehnte sich lässig gegen eine Presse und wartete ruhig, bis dem Werkmeister der Atem knapp wurde. Dann versuchte er ihn zu unterbrechen und die Anschuldigungen zurückzuweisen. Ein paarmal mißlang’s noch, weil die Zwischenreden den Erbosten immer wieder zu neuen Ausbrüchen reizten. Doch schließlich kam Henke zu Wort. »Wir verstehen nicht, Herr Werkmeister, wie Sie dazu kommen, anständige, ehrliche Arbeiter so zu beschimpfen. Wenn der Alte den Koller hat, wollen wir nicht darunter leiden. Wenn Sie Lust haben, können Sie uns ja jeden Tag unsere Papiere geben. Solche Redensarten von wegen Klaubrüder und so weiter und von wegen Rausschmeißen, die brauchen wir uns aber nicht gefallen zu lassen. Die Herren da oben denken wohl, daß sie Schindluder mit unsereinem treiben können? Wenn denen mal die Mütze schief sitzt, sollen wir uns hier alles mögliche sagen lassen. Ich lasse mir das aber nicht bieten, Herr Werkmeister, ich gehe morgen früh zum Betriebsrat und werde dem die Sache melden.« Je weiter Henke in seiner Rede kam, desto lauter war er geworden. Jetzt stand er vor dem Werkmeister, jeder Zoll ein Ehrenmann, die gekränkte Unschuld in Person.
Dem Werkmeister war die Geschichte mit dem Betriebsrat unbehaglich. Er lenkte ein. »Ziehen Sie sich doch die Jacke nicht an, wenn Sie Ihnen nicht paßt, Henke! Sie habe ich ja gar nicht gemeint.«
»So, Herr Werkmeister? Na, wen denn? Wir sind ja bloß sechs Leute im Heroinsaal, drei Schichten zu je zwei Mann. Einen davon müssen Sie doch gemeint haben. Das wird sich ja morgen herausstellen.«
Der Werkmeister versuchte zu beschwichtigen. »Bleiben Sie doch ruhig, Henke, regen Sie sich nicht auf! Ich habe nur allgemein gesprochen. Glauben Sie etwa, es ist angenehm für mich, wenn der Betriebsingenieur mir auf den Kopf zusagt, daß in meiner Abteilung gestohlen wird?«
»Gewiß nicht, Herr Werkmeister; aber der Betriebsingenieur soll seine Beschuldigung beweisen oder den Mund halten. Na, das werden wir ja morgen alles zur Sprache bringen.«
Der Werkmeister klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. »Na ja, Henke, bis morgen! Beschlafen Sie sich die Sache noch mal! Machen Sie keinen unnötigen Skandal! Wäre für uns alle nicht gut. Immer ruhig Blut behalten! – Na, macht eure Sache gut!« Er verließ den Saal.
Henke schnitt eine Grimasse hinter ihm her. Dann wandte er sich zu Altmüller. »Altmüller, altes Tränentier, du hast ja wieder mal dagestanden wie ein Häufchen Unglück, als der Alte hier loslegte. Hast du gemerkt, wie der klein wurde, als ich ihm die Meinung sagte?«
Altmüller guckte seinen
Weitere Kostenlose Bücher