Moderne Piraten
Kumpan wie ein Wundertier an. »Mensch, Henke, ich verstehe deine Frechheit nicht. Eine Mordsangst habe ich ausgestanden. Ich dachte, der würde jeden Augenblick die Polizei holen und uns festnehmen lassen. Ich sage dir, Henke, der weiß was. Der weiß mehr, als er gesagt hat. Sonst wäre er nicht so ausfallend geworden.«
Henke zuckte die Achseln. »Kann sein, Altmüller. Daß sie plötzlich die Schichten getauscht und uns in die Nachtschicht gelegt haben, kommt mir auch verdächtig vor. Was hat er gesagt? ›Es stinkt‹, hat er gesagt. Scheint mir allmählich auch so. Höre mal, Altmüller, ich habe die Nase voll, ich werde verduften.«
»Was, Henke, du willst weg? Du willst ausrücken, mich hier allein lassen? Ich soll die ganze Geschichte hier ausbaden?«
»Hast du nicht nötig, Altmüller. Ich habe dir’s ja öfter als einmal gesagt: komm doch mit! Die Organisation muß für uns sorgen und wird es bestimmt auch tun.«
Altmüller sah grau und verfallen aus. »In die Fremde soll ich gehen? Frau und Kinder hierlassen, nie wieder zurückkommen dürfen? Das kann ich nicht, Henke. Ich bring’s nicht fertig, meine arme, kranke Frau hier allein zu lassen.«
Henke sah ihn eine Weile kopfschüttelnd an. »Na, überleg dir’s Altmüller! Wenn sie dich hier einkapseln, hat deine Frau auch nichts von dir, jedenfalls viel weniger, als wenn du in England dein gutes Brot verdienst.« Er warf einen Blick auf die Saaluhr. »Hallo, bald halb elf! Zeit, daß wir an unser Geschäft kommen.«
Aus dem Versteck unter der lockeren Fliese holte er den Steckschlüssel und eine Anzahl von Beuteln heraus und ging damit an die Verbindungsleitung zur Tablettiermaschine.
Altmüller starrte ihn entgeistert an. »Um Gottes willen, Henke, du wirst doch nicht? Jetzt, heute, wo eben erst der Meister hier war!«
»Dummkopf! Desto sicherer sind wir, daß er nicht gleich wiederkommt.«
Er begann die verborgene Schraube herauszudrehen. »Na, willst du nicht gefälligst herkommen und die Beutel drunter halten?«
»Nein, Henke, nein, ich tu’ es nicht mehr, unter keinen Umständen. Mach du, was du willst.«
Schimpfend machte sich Henke daran, selbst das ausströmende Pulver aufzufangen. Es war ein reichliches Dutzend größerer Beutel, das er an der verborgenen Quelle füllte. Dann drehte er die Schraube wieder fest, band die Beutel zu und beseitigte sorgfältig alle Spuren an der Zapfstelle.
»So, Altmüller, das hat gewirkt! Sind mindestens zwölf Kilo. Aber die dürfen nicht hierbleiben, die muß ich gleich woanders unterbringen.«
Er brachte die Säckchen in seiner Kleidung unter. Halb geistesabwesend sah ihm Altmüller dabei zu. Henke gab ihm einen kräftigen Stoß in die Rippen.
»Nimm dich mal endlich zusammen, du schlapper Hund, du! Wenn der Deibel den Meister doch hierher karrt oder wenn sonst irgendwer hier reinkommt, dann sagst du – verstehst du, Altmüller? Merk dir’s! – dann sagst du, ich sei eben mal für einen Augenblick hinausgegangen. Hast du das begriffen?«
»Ja, ja, Henke, ich hab’s schon verstanden. Aber komm bald wieder, laß mich nicht so lange hier allein!«
»Ach was, Altmüller, eine Weile wird’s dauern. Ich habe mein Versteck ein ziemliches Ende weit ab. Laß dir die Zeit nicht lang werden und sei vernünftig!«
Er verließ den Saal und ging durch die weiten Gänge zu einer Hintertreppe. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß dort niemand war, schlüpfte er schnell ins Freie und verschwand in der Richtung des Gasometers. Nur der Sternenhimmel gab hier Licht, eben gerade genug, um die Dinge in groben Umrissen erkennen zu können. Nach kurzem Hin- und Hertasten hatte er das Ventil gefunden, die Ventilspindel drehte sich unter seinen Fäusten, rauschend strömte das Gas in die Ballonhülle.
»So! Die Sache wäre in Schuß! Kannst lange warten, bis ich wiederkomme, Altmüller.« Er sah auf seine Uhr. Es war in zehn Minuten elf. »Der Ballon faßt zweitausend Kubikmeter. Drei Viertelstunden wird die Füllung dauern. Na, Henke, wenn’s richtig klappt, fliegst du schon um zwölf aus dem Werk – aber ganz anders, als der dumme Esel, der Moser, es sich gedacht hat.«
Knatternd und flatternd begann sich die Ballonhülle unter der Wirkung des einströmenden Gases emporzublähen. Er mußte fleißig hin und her springen, um die Sandsäcke in immer entferntere Maschen des Netzes einzuhaken, während die bauchige Hülle von Minute zu Minute höher emporwuchs. In den kurzen Pausen, die die Arbeit ihm ließ,
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