Modesty Blaise 01: Die tödliche Lady
Santos’ bis auf den Buchstaben genau befolgte.
«Das weiß ich selbst nicht», sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. «Das hier ist seit einem Jahr das erste Mal, daß ich wieder lebendig geworden bin.»
Willie setzte sich mit einem Ruck auf, wandte sich ihr zu und starrte sie an.
«So also ist das», sagte er leise. «Wie wär’s, wenn wir zu unserem alten Metier zurückkehrten, Prinzessin? Von vorne anfangen und ein neues Netz aufbauen – ?»
«Das hätte jetzt keinen Sinn mehr. Wir haben alles erreicht, was wir uns gewünscht haben. Und ohne einen Sinn dahinter wären wir bald erledigt.» Er nickte trüb. Das Licht in seinem Kopf schien jetzt hell und klar, die Rädchen griffen reibungslos ineinander, und er wußte, daß ihre Worte wahr waren.
«Ja, aber was werden wir tun?» fragte er hilflos. «Ich meine, gerade nur hie und da zur Abwechslung? Du weißt ja, wie das ist, Prinzessin. Die Schnaufpausen zwischen den Beutezügen sind ja gut, aber nur, weil sie ‹zwischendurch› sind. Ohne die Unternehmungen aber ist das alles gerade nur – gerade nur schales Bier.»
«Tarrants Rechnung», sagte sie langsam. «Eine Sache, die er erledigt haben will. Aber ich weiß noch nichts Näheres darüber.»
«Wir unter Tarrant arbeiten?» In Willies Stimme mischten sich Hoffnung und Zorn.
«Nicht unter ihm. Für ihn. An einer Spezialaufgabe. Und er hat keinen Druck auf mich ausgeübt, Willie. Aber ich weiß nicht, wie das mit dem ‹wir› ist. Dieser jüngste Streich von dir wird ihm keinen großen Eindruck gemacht haben.»
«Och, Prinzessin, das ist was anderes. Du kannst doch Tarrant erzählen, ich meine, daß ich noch nie vorher ein so faules Ei gelegt habe, die ganze Zeit, die ich für dich gearbeitet habe, oder?»
«Nein. Aber das ist jetzt vorbei, Willie. Ich kann dich nicht mit hineinbringen, gerade nur, weil ich vielleicht Hilfe brauchen werde. Das bedeutet, daß du wieder von mir Befehle entgegennehmen mußt. Und du bist jetzt großjährig. Ich will, daß du dein eigener Herr bist.»
«Aber ich nicht.» Er sprach in stumpfer Verzweiflung. «Wenn du mich nicht zurücknimmst, ist’s aus mit mir.»
«O Willie – ich weiß nicht.» Sie war bekümmert.
«Schau, wir wollen einmal sehen, was Tarrant heranbringt. Aber es ist mir gräßlich, als selbstverständlich zu nehmen, daß du immer für mich da bist, und ich will auch nicht, daß Tarrant es als selbstverständlich nimmt.
Überlaß die Sache einfach mir allein und halte dich heraus. Ich will nicht, daß du immer wieder und noch weiter in Unannehmlichkeiten gerätst.»
«Keine Angst, Prinzessin. Ich war ein Vollidiot. Es tut mir leid.»
«Ich habe keine Angst.» Die Lichter des kleinen Grenzpostens tauchten vor ihnen auf; sie hob den Fuß vom Pedal und wandte sich ihm zu, um ihn einen Augenblick lang voll anzusehen. Willie sah das so seltene Lächeln, das plötzlich ihr Gesicht erhellte, dieses Lächeln, das es wert war, daß man eine Woche lang darauf wartete. «Alles, worum ich mir jetzt Sorge mache, ist der Flugplan, Willie. Ich habe für Dienstag ein Rendezvous im Covent Garden.»
3
Tschaikowskys Musik schwoll an und verebbte. Die Schwäne glitten fort. Siegfried lief ihnen mit seinen Gästen nach und ließ den trunkenen Wolfgang allein auf der Bühne zurück. Der Vorhang senkte sich über dem ersten Akt von Schwanensee. Applaus erdröhnte.
Als Modesty Blaise die große, prunkvoll eingerichtete Bar betrat, war diese schon überfüllt. Modesty trug ein Abendkleid von lichtestem Apfelgrün mit einem gestickten Leibchen und einem von den Schultern fließenden Panneau. Die langen weißen Handschuhe reichten ihr bis zum Ellbogen. Ihr einziger Schmuck war ein schwerer, herrlich geschnittener Amethystanhänger.
Die Männer warfen verstohlen durchdringende Blicke auf sie, die Frauen starrten sie unverhohlener an, aber sie merkte es nicht. Ihre Augen strahlten warm von dem Genuß der letzten Stunde.
Ihr Begleiter, David Whitstone, war ein sonnengebräunter Mann von ungefähr Dreißig in einem mitternachtsblauen Smoking.
«… wenn daher alles gut geht», sagte er eben, «hofft Ronnie die Yacht in Cannes in der ersten Juniwoche bereit zu haben.»
«Und er hat dich eingeladen?»
«Uns.» Seine Augen ruhten mit Befriedigung auf ihr und nahmen die schnell aufblitzende Kälte in ihrem Ausdruck nicht wahr. «Dich und mich. Zusammen.
Auf zwei, drei Monate, durch die griechische Inselwelt.»
«Sehr romantisch. Ich möchte etwas trinken, bitte – ein
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