Modesty Blaise 01: Die tödliche Lady
die
Andronicus
würden abfahren, Gabriels Yacht aber liegenbleiben. Sie fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis Tarrant und Paul entdeckten, was geschehen war. Es gab keine Möglichkeit, das auch nur schätzungsweise zu beantworten, also verbannte sie die Frage aus ihren Gedanken.
Gabriel meinte: «Ich habe Garvin gesagt, was dir zustößt, wenn er diesen Job verpatzt oder versucht, klüger zu sein. Sagte es ihm mit allen Einzelheiten.»
«Er wird daran denken», antwortete sie und hob die Handgelenke. «Du hast mich um den Preis meines Halses gekauft, und du willst, daß ich die Diamanten auf meine Weise für dich verkaufe. Müssen diese Dinger da immer noch bleiben?»
«Die Handschellen?» Gabriel grinste, ohne die Zähne zu entblößen. Es war ein seltsam abstoßender Ausdruck, gekünstelt und ohne Empfindung dabei. «Die sind zu deinem eigenen Schutz da – falls Mrs. Fothergill einen plötzlichen Zwang verspürt. Mit den Handschellen bist du vor ihr sicher. So, als trügst du Brillen.»
Mrs. Fothergill kicherte. Gabriel drehte sich um und sah auf den Hafen hinaus.
«Darf ich Fragen stellen?» sagte Modesty.
«Wirst du nicht brauchen. McWhirter hat nicht oft Gefangene als Publikum. Du bist das reinste Himmelsgeschenk für ihn.»
«Kommen Sie da herüber, junge Frau», sagte McWhirter zufrieden und führte sie zu dem Plan an der Wand. «Die Tauchtasse muß also ungefähr eine halbe Meile schwimmen, um die
Tyboria
zu erreichen. Ohne den Aufbau kann sie nur eineinhalb Knoten machen, mit ihm weniger als einen Knoten.»
«Wieso wirft sie das zusätzliche Gewicht der Glocke nicht um?»
«He?» McWhirter starrte sie an, dann entspannte sich sein Gesicht. «Der Quecksilberballast macht das wett», sagte er. Sie wußte, daß er nur riet. Aber jemand hatte nicht geraten. Das war ein Gabriel-Projekt, und somit war jede Einzelheit bis ins kleinste getestet worden.
«Ihr müßt aber sicher sein, daß die Tauchtasse die
Tyboria
rechtzeitig erreicht», sagte sie, den Maßstab studierend. «Sie braucht eine halbe Stunde, nur um sie zu erreichen.»
«Ja. Aber wir haben sie vor zwanzig Minuten von Stapel gelassen, als das Schiff eben durch die letzte Strecke von Taz-el-Esh kam.»
«Ich glaube trotzdem, daß die Zeitabstimmung gewagt ist. Wissen Sie, wie lange die
Tyboria
beilegt?»
McWhirter warf einen Blick aus der Luke auf das weiße Schiff. «Nein. Wenn sie keine Passagiere oder Post an Bord hat, sind trotzdem immer noch die Formalitäten zu erledigen und der Kutter für den Lotsen einzusetzen. Das nimmt, minimal gerechnet, dreißig Minuten. Und sehen Sie, die Sache ist gründlich geprobt worden.» Er hielt inne, rieb sich das Kinn und fügte langsam hinzu: «Allerdings nicht mit Garvin.»
«Was hat er zu tun?»
«Nichts, bis der Kontakt hergestellt ist – und das ist die Sache des Lotsen in der Tauchtasse.»
«Eine Präzisionsarbeit. Wie legt der Tauchapparat an und wie wird er angeschlossen?»
«Ah …» McWhirter strahlte und rieb sich die trockenen Hände. «Durch Instrumente. Er wird direkt unter dem Tresorraum auftauchen. Im Tresor befinden sich auch noch andere Sachen als die Diamanten, darunter eine Kiste kostbaren Porzellans, 1,20 Meter im Quadrat und 60 Zentimeter hoch.»
Sie nickte. «Verschifft von einer der Gesellschaften Gabriels – und mit einer Vorrichtung zur Aussendung eines Leitstrahls drinnen?»
«Ja. Sobald Garvin von der Tauchtasse aus auf der Frequenz sendet, die den Leitstrahl auslöst.»
«Da ist aber immer noch eine Fehlerquelle vorhanden. Wie wißt ihr, daß die Kiste mit dem Leitstrahl gerade dort im Tresor liegt, wo ihr sie haben wollt?»
Gabriel antwortete, ohne sich von der Stelle an der Luke zu rühren. «Wir kennen jeden Gegenstand im Tresor», sagte er. «Die genaue Lage. Es kostete Geld, den Plan zu bekommen, aber wir erwarten, daß es sich rentiert.» Er schaute auf die Uhr an der Wand über dem Tisch des Funkers. «Wir dürften bald von ihnen hören.»
Mrs. Fothergill zündete sich einen Zigarrenstummel an. Sie blickte sich vage um, beugte sich dann vor und hob einen Stuhl bei einem Bein hoch. Sie packte es am unteren Ende, hielt den Stuhl auf Armeslänge seitlich von sich ab, so daß die Muskeln an ihrem Arm hervortraten, und verfolgte dabei den großen Sekundenzeiger der Uhr.
«Was geschieht, wenn der Tauchapparat mit dem Schiff in Kontakt kommt?» fragte Modesty.
«Er taucht hier hoch.» McWhirter legte den langen Finger auf die Zeichnung des Schiffs
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