Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
sie.
«Es gibt nicht viel darüber zu sagen.» Tarrant reichte seine Angel Willie und nahm seine schwarze Brieftasche heraus. «Ich fürchte, Sie werden daran nichts Aufregendes finden.» Er zog ein Stück groben gelben Papiers hervor und gab es ihr.
Es war eine Flugschrift, zwanzig mal zwölf Zentimeter groß, die alle politisch reifen Menschen zu einer Versammlung der Gesellschaft der Freunde für ein freies Kuwait in einen Vortragssaal Gossley Road NW 8 einlud. Das Oberhaupt der Freien Kuwait-Regierung, Es-Sabah Solon, würde zu der Versammlung sprechen.
Modesty las die Flugschrift aufmerksam und reichte sie dann Willie weiter, der Tarrant die Angelrute zurückgab und nun seinerseits zu lesen begann. «Es-Sabah Solon ist ein sehr ungewöhnlicher Name», stellte Modesty fest. «Zum Teil arabisch, zum Teil griechisch. Wie kommt er dazu, Oberhaupt der Freien Kuwait-Regierung zu sein?»
«Die existiert überhaupt nicht.» Tarrant zuckte die Achseln. «Es gibt bloß diesen Mann und ein paar Anhänger. Die Kuwaiter fühlen sich sehr wohl unter ihrem gegenwärtigen erlauchten Herrscher. Wenn es mir Spaß machte, könnte ich mich zum Beispiel mit der gleichen Berechtigung Oberhaupt der Freien Regierung der Äußeren Mongolei nennen. Das ist völlig bedeutungslos.»
«Aber Solon muß doch irgendeine Grundlage haben, nicht wahr?»
«Er behauptet, direkter Nachkomme der Familie EsSabah zu sein, die sich Ende des 18. Jahrhunderts in Kuwait niederließ», erzählte Tarrant. «Das Land war damals nichts anderes als ein namenloser Fleck Wüste.
Der gegenwärtige Herrscher ist, wie Sie wahrscheinlich wissen, Scheich Abdullah, ein Abkomme des ersten Emirs. Es-Sabah behauptet nun, einen älteren Anspruch auf diesen Platz zu haben. Er hat irgendeinen weitverzweigten, gutklingenden Stammbaum ausgearbeitet, an Hand dessen er seine Ansprüche beweist.»
«Das alles ist doch bloß das Drum und Dran», sagte Willie und blickte von der Flugschrift auf. «Was ist der Kern der Sache?»
«Ich weiß nicht, ob es einen solchen gibt, Willie.»
«Na schön, was haben Sie denn für Vorahnungen?»
«Kuwait», begann Tarrant. «Wenn Sie das Fürstentum heute sehen, würden Sie es nicht für möglich halten, daß das Öl dort erst seit sechzehn Jahren aus dem Boden schießt. Heute werden dort alle vierundzwanzig Stunden Tanker mit je vierzigtausend Tonnen Rohöl vollgepumpt. Das Land besitzt ein Viertel aller bekannten Ölvorkommen der Erde.»
«Meiner Seel», sagte Willie beeindruckt, «das würde reichen, dem Ganzen einen Kern zu geben.» Er tippte auf die Flugschrift. «Aber das Gejammer dieses alten Kameltreibers wird doch keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Das ist doch zum Lachen. Blödsinn.»
«Wir waren vor vier Jahren in Kuwait», berichtete Modesty. «Das, war kein Nährboden für eine Revolution, und ich glaube nicht, daß sich das in der Zwischenzeit gewandelt hat.»
«Nur zum Besseren», entgegnete Tarrant. «Es ist ein reiches, gutverwaltetes kleines Land.»
«Dann ist dieser Solon also, wie Willie sagt, nichts anderes als ein Witz.»
«Ja.» Tarrant blickte auf seinen Korkschwimmer.
«Mein Minister findet es auch zum Lachen und die Kuwaiter ebenfalls. Aber ich lache nicht darüber. Ich bin anscheinend der einzige, der keinen Sinn für Humor hat.» Sie schwiegen lange. Tarrant war sich dessen bewußt, daß zwei sehr empfängliche Geister genau abwogen, was er gesagt hatte.
Modesty deutete auf das Flugblatt, das Willie hielt.
«Sie haben mehr als nur dieses. Denn selbst für bloße Vermutungen brauchen Sie zumindest zwei Anhaltspunkte, um die Sache abzurunden.»
«Sehr richtig», bemerkte Tarrant und beließ es dabei.
Willie holte die Angel ein und wollte sie ins Boot legen, aber Modesty streckte die Hand danach aus. Er reichte sie ihr. Sie faßte das Ende der Rute mit beiden Händen und hob sie mit gänzlich ausgestreckten Armen hoch über sich. Dann ließ sie die Spitze langsam herunter, bis sie ein Blatt auf einem tiefhängenden Zweig genau über Tarrant berührte.
Dreimal hob sie die Rute weg, und dreimal senkte sie sie wieder sachte genau auf das Blatt. Willie sah ihr interessiert zu und nickte jedesmal zufrieden.
«Halten Sie es für sehr neugierig, zu fragen, was Sie da machen?» fragte Tarrant höflich.
«Ich denke nach.» Angestrengt sah sie auf das Blatt, das sie eben wieder berührte.
«Ja, aber ich wüßte gerne, was Sie de facto tun.»
«Oh …» Sie lachte kurz auf und gab Willie die Rute
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