Modesty Blaise 03: Die Lady reitet der Teufel
herauszuplatzen. «Ehrlich, John, ich wollte dich nicht ablenken.»
«Hast du auch nicht.» Er erwiderte ihr Lächeln nicht und blieb förmlich. «Reden wir also über Luzifer. Auch ihn noch herauszuholen, bedeutet ein zusätzliches Risiko. Was bringt dich nur dazu, deinen Hals für einen Verrückten zu riskieren, der drei Wochen lang mit dir geschlafen hat?»
Sie wurde plötzlich ernst, aber gleich darauf lächelte sie wieder und sah ihn schalkhaft an. «Du alter Komödiant», sagte sie. «Willst mich bös machen, damit wir zu streiten beginnen. Dann könntest du hinausrennen und die Sache mit deinen Ex-Marinern auf deine Weise schmeißen. Aber da hast du kein Glück, John. Wenn du mich zurückhalten willst, dann kannst du es nur mit voller Überlegung machen.»
«Und?»
«Und mir wäre es lieber, wir könnten Freunde bleiben.» In ihrer Stimme klang keine Drohung, nur Zuneigung. Dall seufzte und gab nach. «Okay», sagte er resignierend. «Aber meine Frage bleibt berechtigt, wenn ich sie auch nicht sehr geschickt gestellt haben mag.»
«Natürlich. Luzifer ist ein Verrückter», sagte sie ruhig. «Aber er hat mir nichts Böses getan. Er ist ein so netter Verrückter – und er leidet wirklich. Wenn du nur seinen Wahn akzeptierst, dann kommt er bei der ganzen Sache recht gut weg.» Sie zuckte die Schultern.
«Ich würde sagen, falls Luzifer wirklich die Hölle regierte, dann wäre es dort gar nicht so schlecht. Aber wenn es zum Kampf kommt, dann wird Seff ihn ebenso umlegen wie Steve Collier, da er zuviel weiß.»
«Na schön.» Dall überlegte und fuhr dann bedächtig fort: «Das mag zwar hart klingen, aber der Bursche ist verrückt und noch dazu unheilbar. Ein für allemal. Du sagst, er leidet. Glaubst du wirklich, daß er besser dran ist, wenn er am Leben bleibt?»
«Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, wie das Totsein ist.»
Gedankenverloren begann sie einen ihrer Zöpfe nachzuflechten, der aufgegangen war. In dem zu großen Pyjama glich sie einem Schulmädchen, und Dall überkam plötzlich eine Welle von Zärtlichkeit und Mitgefühl, die nichts mit jenem Entzücken zu tun hatte, dessen sein Körper sich so gut erinnerte. Dennoch war diese Zärtlichkeit nicht väterlich: er wußte, daß dieses Gefühl nie hätte entstehen können ohne die im Augenblick schlummernde körperliche Begierde. Es war …
Dall suchte Willie Garvins Blick. Der hatte seine Mahlzeit unterbrochen und sah Modesty mit einem Ausdruck an, über den Dall sich nicht klar wurde, der aber seinen eigenen unklaren Gefühlen irgendwie verwandt schien.
Einen flüchtigen Augenblick lang glaubte Dall zu verstehen, welch seltsame und doch unzerreißbare Bindung zwischen den beiden bestand, aber bevor er das noch recht formulieren konnte, war das Gefühl schon vorbei.
Dall verbarg die Müdigkeit, die das wochenlange Warten in ihm hervorgerufen hatte, und erhob sich.
«Okay, Liebling», sagte er begütigend. «Ich glaub, ich hab’s jetzt kapiert. Collier mußt du herausholen, weil er dein Freund ist, und Luzifer, weil du nicht weißt, wie das Totsein ist.» Er zwang sich zu einem Lächeln.
«Lassen wir’s dabei.»
Willie Garvin wandte sich wieder seinem Frühstück zu. «Nach dem Tod wächst dir der Bart noch ganz schön weiter», sagte er nachdenklich. «Das hab ich in Rio entdeckt.»
«Hast du dort ein Mädchen gehabt?» fragte Modesty.
«Mhm. Ihr alter Herr war Leichenbestatter, und sie hat im Geschäft mitgeholfen. Die anfallenden Leichen lagen im Keller auf Betten aus Armee-Restbeständen.
Alle zwölf Stunden hat Rosita sie rasiert, und ich war ihr dabei behilflich. Das Blöde war nur, wenn man ihnen die Haut dehnte, damit der Rasierapparat gut angriff, dann
blieb
die Haut gedehnt. Es war eine richtige Plage, das Gesicht nach dem Rasieren wieder in Fasson zu bringen.»
«Meint er das im Ernst?» fragte Dall ungläubig.
Modesty hob die Schultern. «Das frag ich mich auch jedesmal. Aber wer könnte sich so etwas ausdenken?»
«Kein Mensch», sagte Dall kopfschüttelnd.
«Ich bin noch nicht fertig», sagte Willie würdevoll.
«Was ich noch sagen wollte, ist, daß ich beim erstenmal ganz schön ausgerutscht bin. Die Sache war so: ich war grad dabei, ihn zu rasieren, wirklich schön, denn die Familie hat’s immer gern, wenn der Tote ordentlich aussieht. Na, ich mach mich an die andere Seite des Gesichts und knie mich dazu aufs Bett, um besser hinüberzulangen. Das Bett gibt in der Mitte nach, und der Tote natürlich auch.
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