Modesty Blaise 03: Die Lady reitet der Teufel
sagt, sobald du oben bist. Sonst geht alles schief. Hast du noch immer nicht begriffen, daß wir mehr von diesem Geschäft verstehen?»
Er nickte grimmig. Weiß Gott, sie hatte nur zu recht.
Modesty erhob sich und wies mit dem Kopf auf Colliers Kleider. Er zog Hemd, Hose und Schuhe an.
Sobald er damit fertig war, schaltete sie die Stirnlampe aus, und eine Minute danach stieg er schon über den schwer atmend vor der Tür liegenden Moro und folgte ihr den Flur hinunter. Vorn an der Einmündung deutete sie nach links und wartete, bis Collier auf dem Weg war. Dann schlich sie auf Luzifers Zimmertür zu.
Sobald Collier auf dem flachen Dach auftauchte, ergriff eine Hand seinen Arm und zog ihn zu Boden.
«Verdammt», flüsterte Willie Garvin, «von Beryllium verstehst du wirklich mehr, Kumpel. Bleib unten, du mußt doch nicht zum Appell antreten.»
«Tut mir leid.» Collier mußte sich erst an das Dunkel gewöhnen. Jetzt sah er Willie Garvin winken und dann auf die vordere Brüstung zukriechen. Collier folgte ihm auf allen vieren. Neben dem Treppenverschlag sah er einen toten Moro mit einer schwarzen, klaffenden Wunde in der Kehle.
An der Brüstung angelangt, hob Willie ein schwarzes Rohr ans Auge und drehte einen Schalter, wobei er langsam den Horizont absuchte, als benützte er ein Periskop. Dann drehte er ab, senkte das Rohr und blickte Collier an.
«Holt Modesty jetzt Luzifer?»
«Ja. Ich hab ihr gesagt, daß das Wahnsinn ist. Luzifer wird nicht mitmachen.»
«Sie wird ihn trotzdem mitbringen.»
«Mit Gewalt? Dabei hat sie schon einmal verspielt.
Hat sie Ihnen das nicht erzählt? In der Selbstverteidigung ist er ihr immer um zwei Sekunden voraus.»
«Ich weiß. Das macht nichts aus, falls Ihre Ideen über die Vorahnung stimmen. Und Modesty hält sehr viel davon.»
Collier begriff nicht. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und sagte: «Trotzdem, ich halte es für Wahnsinn. Warum will sie Luzifer überhaupt herausholen?»
«Und warum nicht? Sie hat ja auch Sie herausgeholt, oder?»
«Stimmt. Auch das war Wahnsinn. Aber da ist doch ein kleiner Unterschied.»
«Welcher?»
Collier erschrak, als er entdeckte, daß er auf die einfache Frage keine Antwort wußte. «Weil ich machen werde, was man mir sagt», meinte er schließlich. «Aber Luzifer wird das nicht. Darum ist es bei ihm viel gefährlicher.»
«Wir sind nicht abgesprungen, um hier Blumen zu pflücken», sagte Willie gutmütig und wechselte das Thema. «Haben Sie schon mit einer AR-15 geschossen oder eine Handgranate geworfen?»
Collier schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht einmal, was eine AR-15 ist, und ich schäme mich auch gar nicht dafür.»
Ein Grinsen ging über Willies geschwärztes Gesicht.
«Das hört man gern. Aber jetzt ist Gelegenheit, es nachzuholen. Schauen Sie, ich zeig es Ihnen für den Fall, daß die Sache brenzlig wird.»
Luzifer glitt über ein rauchendes, rotglühendes Meer und umkreiste einen sich daraus erhebenden Berg, an dessen Hang die armen Seelen sich krümmten und verzweifelt nach oben strebten.
Aber plötzlich irritierte ihn irgend etwas, eine Stimme flüsterte ihm ins Ohr, eine unsichtbare Hand berührte ihn und zog ihn mahnend hinauf zu den Oberen Regionen.
Seine Gestalt löste sich auf und formte sich neu zur Erscheinung jenes anderen, goldenen Luzifer der Oberen Regionen. Er schlug die Augen auf, und Freude durchzuckte ihn, als er ihr Gesicht so nahe über sich erblickte. Es war dunkel, fast schwarz, als käme auch sie aus den Unteren Regionen. Aber es war noch immer schön.
Modesty war zurückgekommen. Ja, er erinnerte sich jetzt. Sie hatte ihn für kurze Zeit verlassen, und Asmodi hatte gesagt … Ja, was hatte Asmodi gesagt? Doch das war nicht wichtig.
Modesty war zurückgekommen, und er freute sich darüber, obwohl sie so verändert war. Auch ihre schwarze Kleidung erinnerte ihn irgendwie an die Unteren Regionen. War sie wirklich dort gewesen? Und warum legte sie ihm die Hand auf den Mund und machte mit dem Zeigefinger der anderen Hand das Schweigezeichen? Warum sollte er still sein?
Modesty sah die Freude in den blauen Augen und fragte sich, was nun in diesem unheilbar gestörten Geist vorgehen mochte.
Jetzt ergriff Luzifer die Hand auf seinem Mund und küßte sie.
«Bitte, sprich ganz leise, Luzifer», flüsterte sie ihm zu.
Er lächelte nachsichtig und fragte leise: «Warum willst du das?»
«Weil in der Hölle eine Rebellion ausgebrochen ist.»
Sein Lächeln versuchte sie zu beruhigen.
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