Modesty Blaise 03: Die Lady reitet der Teufel
zusammen. Modesty stürzte knapp an der vorderen Brüstung aufs Dach, wobei sie gleichzeitig die Capewell-Auslösung betätigte, weil der Fallschirm sich nun vor ihr blähte und sie über das Dach hinauszuzerren drohte.
Jetzt hatte sie sich von ihm befreit und purzelte hart gegen die Brüstung. Der Seesack zerrte noch immer an ihrem Bein. Schon war Willie neben ihr und versuchte verzweifelt, die Traggurte des über den Dachrand hinausschlitternden Fallschirms zu erwischen. Aber er kam zu spät. Modesty richtete sich auf den Knien auf und sah eben noch den schwarzen Nylonschirm über die Terrasse im ersten Stock hinunterschweben und dann wie ein formloses schwarzes Ungeheuer über den Boden treiben, bis er schließlich an einer kleinen, struppigen Buschreihe hängenblieb.
Eine Minute verging.
Von rechts schlenderte jemand heran. Es waren zwei Männer, die Gestalt annahmen, als sie aus dem Schatten traten, Moros mit umgehängten Maschinenpistolen. Sie blieben stehen, musterten die Hausfront und drehten sich dann zum Meer, auf das sie minutenlang hinausblickten, ehe sie ihren Rundgang fortsetzten. Im Weitergehen kamen sie keine 20 Schritt an jenem Gesträuch vorbei, worin der Fallschirm sich verfangen hatte. Dann tauchten sie im Dunkel unter.
«Das heißt mal Schwein haben!» Willie Garvin schnaufte erleichtert. «Das nächste Mal finden sie ihn. Oder das übernächste», flüsterte Modesty. «Entschuldige, Willie. Aber ich hab nicht bedacht, daß ich leichter bin.»
Er grinste. «Ich hab doch gewußt, daß ich dich an irgend etwas erinnern wollte. In 3000 Meter Höhe ist es mir dann eingefallen. Guter Moment.»
Sie nahmen ihre Sturzhelme ab. Willie glitt zu dem zusammengekrümmten Moro hinüber, kniete nieder, sah ihn sich genau an und nickte dann Modesty zu. Der Mann war tot. Bei zehn Zentimeter Stahl im Genick war das nicht weiter überraschend, aber Willie wollte sichergehen. Befriedigt zog er sein Messer heraus, wischte es am Hemd des Toten ab und schob es zurück in die Scheide.
Inzwischen hatte Modesty ihren Seesack säuberlich ausgeräumt. Er enthielt, in Schaumgummi verpackt, ein Colt-AR-15-Gewehr und 200 Schuß 5,56-mm-Patronen. Das Gewehr und die zehn Zwanzigermagazine Patronen wogen zusammen keine siebeneinhalb Kilo. Dazu kamen sechs Handgranaten, vier Tränengasbomben und zwei Gasmasken, eine Nylon-Strickleiter, die um eine große, lederne Sanitätstasche gewickelt war, eine Schachtel Reservepatronen für Modestys Colt und, in einem schmalen Behälter, ein eineinhalb Meter langer Bogen samt einem Köcher mit Stahlpfeilen. Der Bogen war plump und von ungewöhnlicher Form, aber aus geschichtetem Holz und Kunststoff und herrlich ausgewogen. Bis auf Bogen und Köcher enthielt Willies Seesack die gleiche Ausrüstung, ergänzt nur um zwei schwere Wurfmesser, vier Magazine mit selbstgefertigten Patronen und zwei halbmeterlange schwarze Metallrohre.
Auch Willie legte seine Ausrüstung an der Brüstung bereit und schob die beiden schweren Wurfmesser in die hinten an seinem Gürtel angebrachten Scheiden.
Modesty war eben dabei, den Sanitätsbeutel auszupacken. Sie entnahm ihm eine flache Schachtel, steckte sie in ihre Schenkeltasche und blickte zu Willie hinüber.
«Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird.»
«Okay, Prinzessin. Wann soll ich nachsehen kommen?»
«Du wirst es schon hören, wenn etwas schiefgeht.»
«Keine Möglichkeit, Seff in seinem Zimmer zu erledigen?» fragte er verlangend.
«Keine. Die Tür ist verriegelt, das Fenster hat Laden und ist vergittert. Wir müssen es schon so machen, wie wir’s geplant haben, Willie.» Gebückt und in Deckung der Brüstung schlich sie über das Dach. Der Abgang in den ersten Stock befand sich in einem Verschlag am Kreuzungspunkt der T-Balken. Von dort aus führte eine Treppe geradewegs in den darunterliegenden Gang.
Nachdem Modesty verschwunden war, nahm Willie eines der schwarzen Rohre zur Hand, kauerte sich mit dem Rücken gegen die Brüstung, so daß man seinen Kopf nicht sehen konnte, und hob das Rohr so weit an, daß es in leichter Neigung über den Mauerrand ragte. Dann setzte er ein Auge an die Gummieinfassung des Okulars, welches einige Zentimeter über dem unteren Rand des Rohres angebracht war und drückte einen Knopf. Ein leises Summen ertönte, und dann sah Willie das offene Gelände vor sich, das sich vom Haus zum Klippenrand erstreckte.
Das Rohr war nicht nur ein Periskop, es war auch ein Noktoskop mit vierfacher Verstärkung, das
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