Modesty Blaise 03: Die Lady reitet der Teufel
sie.
Vaubois sah sie verwundert an. «
Chère amie
, wenn nicht einmal Sie sich jung fühlen, dann bin ich ein Greis. Ich bitte um etwas mehr Höflichkeit.»
«Ich bin siebenundzwanzig, René – wenn es wahr ist. Meine frühen Jahre gehen mir ein bißchen durcheinander.»
«Siebenundzwanzig? Unsinn! Sie tragen das Haar hochfrisiert, haben teuere Kleider und Schuhe mit hohen Absätzen an, Sie trinken Cognac und rauchen.
Aber das alles sind nur Täuschungsmanöver. Sie sind ein Kind, das die Erwachsene spielt.»
«Ich war viel älter, als ich ein Kind war», sagte Modesty beiläufig, und er wußte, was sie meinte; sie hatte ihre Kindheit als Flüchtling auf dem Balkan und im Nahen Osten verbracht, in einem verbissenen und einsamen Kampf ums Überleben. Mit leichtem Lächeln fuhr sie fort: «Wenn ich Ihnen heute jung scheine, René, so ist’s vielleicht deshalb, weil ich genau das mache, was der junge Mann dort gemacht hat.» Und sie wies mit einer Kopfbewegung auf die Lichter der Île de la Cité, die nur noch wie leuchtende Stecknadelköpfe in der Dunkelheit erschienen.
«Ich verstehe Sie nicht», sagte Vaubois verwundert.
Sie schaute ihn an. «Ich tanze manchmal auf dem Seil. Das ist notwendig für mich.»
«Ach so.» Vaubois hatte verstanden. Sie war durch sein Phantasiespiel nicht zu täuschen gewesen. Sie wußte, daß es einen realen Kern hatte, und was immer dahinter stecken mochte, sie bot ihm ihre Hilfe an, wenn er sie brauchte. Resigniert dachte Vaubois: Nun … zum Glück bin ich nicht so bedenkenlos wie Tarrant. Zumindest nicht, wenn es sich um dieses Mädchen handelt. Zweimal schon hätte er sie beinahe in den Tod gehetzt. Für einen Augenblick ließ er seine Hand auf der ihren ruhen und sagte: «Mir ist eben etwas eingefallen, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte. Als ich Sie gestern anrief, war ein junger Engländer am Telefon. Ich hab mir nachher Sorgen gemacht, ob er nicht vielleicht verärgert ist, wenn Sie heute mit mir zu Abend essen.»
Modesty wußte, daß ihr Angebot verstanden, dankbar aufgenommen und liebevoll zurückgewiesen worden war. Sie lächelte, um Vaubois zu zeigen, daß die Zurückweisung sie keineswegs verletzt hatte. Es war ein schnelles, warmes Lächeln, das ihrem Gesicht plötzlich einen schalkhaften Ausdruck verlieh.
«Ich glaube nicht, daß der junge Engländer verärgert ist», sagte sie. «Er hat keinen Grund, in irgendeiner Weise mit mir unzufrieden zu sein.»
Vaubois lachte und zog seine Hand zurück. «Davon bin ich überzeugt», sagte er und schaute seineaufwärts nach Westen. «Schauen Sie sich dort diese Scheußlichkeit an, die wir Eiffelturm nennen. Ich hab einen großartigen Plan, wie man ihn in die Luft sprengen könnte.
Hätten Sie Lust, die technischen Einzelheiten mit mir zu besprechen, Modesty?»
3
«Prickeln die Ohren noch immer?» fragte Collier.
«Wa –? Weiß nicht. Hören Sie jetzt endlich auf, dauernd über meine Ohren zu quatschen. Das geht mir an die Nieren», sagte Willie Garvin barsch. Trotzdem machte er einen durchaus gelassenen Eindruck, wie er da neben Stephen Collier stand, an die Mauer der langen Rampe gelehnt, welche vom Pont de l’Alma zum Schiffsanlegeplatz am quai de la Conférence hinunterführt.
Zu ihrer Linken, am Fuß der Rampe, waren etwa fünfzig Wagen nebeneinander geparkt. Die beiden Männer waren in Willies Mietauto vom Montmartre heruntergekommen, einem großen Simca, den sie gleich um die Ecke bei der place de l’Alma abgestellt hatten. Nun warteten sie schon geschlagene zwanzig Minuten hier an der Mauer auf die Rückkehr des
bateau-mouche
.
«Warum gehen wir eigentlich nicht zur Anlegestelle hinunter?» schlug Collier vor. «Dort können wir die beiden nicht verfehlen.»
«Halten Sie das, wie es Ihnen Spaß macht.» Willies Blick suchte unablässig die Umgebung ab und musterte argwöhnisch jeden Wagen und jeden Passanten, der sich dem oberen Ende der Rampe näherte.
Achselzuckend blieb Collier, wo er war.
«Wie ist denn die Prinzessin in die Stadt gekommen?» fragte Willie nach einer Weile. «Ihr Wagen steht in der Garage.»
«Sie ist mit einem Taxi zu irgendeinem Amt gefahren, dort hat sie diesen Vaubois abgeholt. Wie sie dann hierhergekommen sind, weiß ich nicht.»
Willie brummte etwas vor sich hin.
Nach einer Weile war es Collier, der das Schweigen brach: «Keine Angst, ich fange nicht wieder mit Ihrem Ohrenkribbeln an», sagte er. «Aber ich möchte etwas anderes wissen. Sie haben gespürt, daß sich
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