Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
dasselbe Band, nur jedesmal um einen Sekundenbruchteil gegeneinander verschoben. Am Schluß hast du diesen Engelschoreffekt, und wenn du willst, daß Lisa Stimmen hört, schließt du das Tonbandgerät an einen Sender an und schaltest ein. Die Reichweite ist natürlich begrenzt, aber mehr als drei oder vier Kilometer brauchst du ja nicht.»
Pennyfeather hatte sich ein bißchen erholt, aber seine Stimme zitterte noch immer, als er sagte: «Ich finde, es ist kein Wunder, daß sie das Schwein umgebracht hat.»
«Sie hat es ja gar nicht gewußt», sagte Willie geduldig. «Sie hat ihn getötet, weil die Stimmen es ihr befohlen haben. Und das ist das Merkwürdige. Brunel wird doch seine Stimmen nicht Lisa sagen lassen, daß sie
ihn
umbringen soll, oder?»
Etwa eine halbe Minute lang sagte keiner etwas.
Dann meinte Modesty: «Adrian Chance war es. So sicher, wie ich hier sitze, ist er es gewesen. Er muß irgendwie hinter den Trick mit den Stimmen gekommen sein, vielleicht erst vor ein paar Tagen. Oder vielleicht wußte er auch schon seit langem Bescheid, aber das glaube ich nicht. Erinnerst du dich, wie er sich heute aufgeführt hat, Giles, als Brunel tot war? Aufgekratzt und großspurig. Wie einer, der ein Vermögen gewonnen – nein, mehr, ein Königreich erobert hat. Und das hat er ja eigentlich auch, wenn man’s genau bedenkt.
Brunels Königreich. Er hatte Brunel getötet, ohne selbst irgendwie in Verdacht zu geraten. Er hat es Lisa für sich tun lassen.»
Willie nickte. «Das ist einleuchtend. Und jetzt sendet der kleine Adrian fleißig weiter und versucht Lisa dazu zu bringen, daß sie uns mit Kugeln durchsiebt. Er gibt sich Mühe, das muß man ihm lassen.»
«Sie hat seit Jahren mit diesen Stimmen gelebt», sagte Modesty, und ein Schauder überlief sie. «Wie in Gottes Namen soll man erreichen, daß sie jemals wieder richtig im Kopf wird?» Sie sah Giles Pennyfeather an. Sein Wutanfall war vorüber, und er war jetzt tief in Gedanken versunken. Er faßte sich an die Nase und sagte: «Es wird sehr lange dauern, weißt du. Aber das macht nichts. Ich werde eben so lange bei ihr bleiben müssen, bis sie wieder in Ordnung ist.» Er streckte die Hand aus. «Gib mir den Zahn, Willie.»
«Willst du es ihr sagen?»
«Sobald sie es verkraften kann. Vielleicht gleich nach dem Aufwachen. Im Grunde muß sie ziemlich widerstandsfähig sein, sonst wäre sie längst völlig verrückt geworden.»
Willie gab ihm zögernd den Zahn. «Ich dachte nur …» Er sah Modesty an. «Meinst du nicht, daß das eine Aufgabe für einen Spezialisten gewesen wäre?»
Modesty schaute auf das Mädchen hinunter. «Ja. Aber was sie braucht, ist Heilung, Willie. Und dafür ist Giles Spezialist.»
Zehn Minuten später hatten sie sich das Nachtlager bereitet. Willie saß im Höhleneingang; er hatte die erste vierstündige Wache übernommen. Modesty lag in eine Decke eingewickelt. Tiefer in der Höhle saß Giles Pennyfeather mit dem Rücken an der Wand, hielt Lisas Hand und erzählte dem bewußtlosen Mädchen mit leiser Plauderstimme von irgendeinem Vorfall aus seiner Studentenzeit. «Fenshaw hieß er – oder Henshaw? So ähnlich, jedenfalls. Ein sehr schwieriger Patient. Er hatte die Gewohnheit, Glasscherben zu essen, außerdem Schrauben und Muttern. Irgendwie hatte er ein Verlangen danach. Man fand fast ein halbes Pfund Schrott in seinem Bauch, als man ihn aufschnitt.
Aber vorher, als ich das noch nicht wußte, fühlte ich ihm einmal den Puls und maß seine Temperatur, und eh ich mich’s versehe, beißt der doch das Thermometer in der Mitte entzwei und verschlingt die eine Hälfte auf einen Sitz.» Er lachte leise. «Ich wollte, ich hätt mein Gesicht sehen können, Liebes. Ich traute mich nicht mehr, ihm die Brust abzuhorchen, weil ich befürchten mußte, daß er mir ein Stück von meinem Stethoskop abbeißt. Ich hatte es mir gerade für 50 Shilling gekauft …»
Modesty schaltete seine Stimme ab. Fünf Minuten später warf sie die Decke zurück, ging zum Eingang der Höhle, setzte sich neben Willie und hakte sich bei ihm unter.
«Hallo, Prinzessin.»
«Hallo, Willie, Liebling. Ich kann nicht einschlafen, bevor ich nicht weiß, wie es dir ergangen ist. Komm, erzähl.»
«Du meinst, nachdem sie mich aus der Dakota geworfen hatten?»
«Was denn sonst? Ich habe versucht, es zu erraten, aber das ist Zeitverschwendung. Wir flogen in eintausend Meter Höhe, also mußt du die Endgeschwindigkeit erreicht haben. Es würde deshalb auch nichts
Weitere Kostenlose Bücher