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Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Titel: Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
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sein Zweck damit vermutlich erfüllt gewesen.
    Ich unterzog die Mauer einer eingehenden Prüfung.
    Das große, von Zinnen gekrönte Haupttor war jünger als das Schloß, nicht mehr als hundert Jahre alt, aus sehr solidem Holz und von innen verschlossen oder verriegelt. Der Stacheldraht, der die Zinnen verstärkte, war noch neueren Datums, nicht einmal rostig. Die Mauer bildete über dem Tor einen Bogen, und der kleine Zwischenraum war mit Zinnen und Stacheldraht ausgefüllt. Auf der östlichen Seite der Mauer gab es eine zweite, kleinere Tür, ebenfalls solide und von innen verriegelt.
    Ich beschloß, über die Mauer zu klettern, also packte ich das, was ich brauchen konnte, aus der Tasche in einen kleinen Sack und hängte ihn mir über den Rücken. Dann nahm ich ein Kunstfaserseil mit einem Enterhaken am Ende. Die Zacken des Enterhakens steckten – mit Ausnahme der Spitzen – in Gummihülsen. Es machte kaum ein Geräusch, als ich ihn hinaus und über eine Zinne warf.
    Der Aufstieg war einfach. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie man die Zacken zwischen den Zinnen nennt. Knapp bevor ich den Mauerrand erreichte, fiel mir ein, daß man sie Zinnenzähne nennt. Ungefähr gleichzeitig spürte ich, daß das Seil nachgab. Der Mörtel rund um den großen Stein, über den ich meinen Haken geworfen hatte, begann auszubrechen, und ich konnte sehen, wie der etwa 45 Zentimeter lange und 30 Zentimeter breite Stein sich aus der Mauer löste.
    Dann fielen wir beide. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß ich einen Fall von acht Metern auf einen Grasboden ohne Schwierigkeiten überstehen kann.
    Fallen ist etwas, das ich gelernt habe, und man braucht darauf nicht besonders stolz zu sein. Klug ist derjenige, der erst gar nicht hinunterfällt.
    Dieser Sturz bot jedoch Probleme. Ich wollte nicht auf meinem Rücken landen, da ich den Sack mit den Werkzeugen über den Rücken geschnallt hatte. Andererseits wollte ich auch nicht die Zentnerlast des riesigen Steins auf mich fallen lassen, also versuchte ich beides zu vermeiden, indem ich im Fallen seitlich auswich. Das ist das letzte, an das ich mich erinnern kann. Als ich wieder die Augen öffnete, fühlte ich mich so kalt wie in einer Tiefkühltruhe, abgesehen von meiner linken Schulter, die glühte. Der Steinbrocken lag 30 Zentimeter von mir entfernt; er hatte mich nicht getroffen.
    Ich war auch nicht auf den Rücken gefallen, denn er tat mir nicht weh. Dafür hatte ich meine linke Schulter ausgekegelt. Als ich mich aufsetzte und sie berührte, konnte ich den Höcker spüren, wo der Knochen aus der Pfanne gesprungen war.
    Reizend.
    Nach einer Weile stand ich auf und lehnte mich nachdenklich mit der gesunden Schulter gegen die Wand. Da und dort hat mein Name einen ganz guten Ruf, und ich fragte mich, warum. In diesem Augenblick war meine Ansicht über Willie Garvin, daß seine Qualitäten die eines Dorftrottels kaum erreichten.
    Ich konnte nichts für meine Schulter tun, jedenfalls nicht allein, also verbrachte ich geraume Zeit damit, den Schmerz sozusagen in Samt zu verpacken und dorthin zu verbannen, wo er mich nicht erreichen konnte. Das ist ein Konzentrationstrick und gehört zu den Tausenden Dingen, die ich der Prinzessin verdanke. Man lernt das nicht in einer Stunde oder in einem Tag. Es gibt einen alten Mann namens Sivaji in der Wüste Thar nördlich von Jodhpur, der behauptet, er sei 127 Jahre alt. Ich halte ihn für einen Lügner. Er ist mindestens 150. Vor Jahren schickte mich die Prinzessin zu ihm, und ich verbrachte zwei der unglaublichsten Monate meines Lebens bei ihm und lernte eine Menge nützlicher Dinge.
    Nach einer Weile, als der Schmerz bereits weit weg war, bewegte ich mich ein paar Schritte die Mauer entlang und warf den Enterhaken nochmals hinauf. Diesmal hing ich fünf Minuten lang mein volles Gewicht an das Seil, bevor ich hinaufzuklettern begann. Es ist nicht sehr lustig, mit einer Hand zu klettern, aber es muß möglich sein, da ich es geschafft habe. Dann ließ ich das Seil an der Innenseite der Mauer herunterfallen und glitt abwärts.
    Zwei Minuten später befand ich mich bei einem beleuchteten Fenster des westlichen Flügels. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, und ich konnte bequem ins Zimmer schauen. In dem alten Kamin brannte ein großes Feuer, und im Raum waren fünf Männer. Vier saßen um einen Tisch, mit vollen Aschenbechern und halbgefüllten Gläsern, und spielten Karten. Der fünfte war Rodelle. Er saß in einem Rollstuhl, eine Decke

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