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Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Titel: Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
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über die Knie gebreitet, ein großes Glas Brandy in der Hand und starrte ins Feuer. Ich hatte ihn als einen hochgewachsenen Mann mit einem harten braunen Gesicht in Erinnerung. Er war noch immer groß, doch sein Gesicht war gelblich und sah aus, als hätte es kein Fleisch mehr, bloß zusammengeschrumpfte graue Haut. Als hätte eine Säure an seinem Schädel alles andere weggefressen. Vielleicht war es auch so.
    Die anderen vier waren so, wie ich es erwartet hatte – Variationen von Fitch. Diese Art Leute kosten Geld, aber für einen Mann wie Rodelle sind sie es wert. Ich war nicht überrascht, daß sie aufgeblieben waren und Karten spielten. Rodelle war immer ein Nachtvogel gewesen.
    Innerhalb des Fensters war ein Gitter mit engen Stäben angebracht. Es sah nicht neu aus, also nahm ich an, daß es schon immer zum Haus gehört hatte und daß vermutlich alle ebenerdigen Fenster vergittert waren, um einen Einbruch zu verhindern, wenn das Haus leerstand. Ich sah mir ein halbes Dutzend anderer Fenster an, sie waren alle gleich. Ich hoffte, daß die Fenster im oberen Stock keine Gitter haben würden, beschloß aber, noch einen Blick ins Zimmer zu werfen, bevor ich hinaufkletterte.
    Als ich zum Zimmer zurückkam, sah ich, daß einer der Männer eine Platte mit belegten Broten und ein paar Teller brachte. Rodelle hatte sich nicht bewegt und aß auch nichts, aber die anderen griffen zu. Dann öffnete sich die Tür und ein Mann kam herein, der die Prinzessin mit einem Revolver vor sich her schob.
    Ich spürte meinen Magen in die Höhe springen wie eine Forelle. Ihre Hände waren auf dem Rücken, sie trug einen Pullover und Slacks, wie sie sie oft zum Reiten trägt, wenn sie in Benildon ist. Ihr Haar war ein wenig zerrauft, und ihr Gesicht hatte eine Schramme, aber sonst war alles in Ordnung. Sicher und gelassen wie ein Mannequin auf dem Laufsteg betrat sie das Zimmer, und selbst in diesem alten Reitdress sah sie aus wie ein Bild aus
Vogue
. In Wahrheit ist sie gar nicht sehr groß, vielleicht ein Meter fünfundsechzig, aber irgendwie erschien sie mir größer als alle anderen Anwesenden.
    Eine Sekunde lang verspürte ich den komischen kleinen Schmerz im Hals, den ich immer bekomme, wenn ich die Prinzessin nach einer Weile wiedersehe.
    Der neue Mann schob sie zu einem Stuhl am Tisch.
    Als sie sich umdrehte und setzte, bemerkte ich, daß ihre Handgelenke mit Draht gefesselt waren. Stacheldraht.
    Auf ihren Händen und auf dem Pullover sah ich vertrocknete Blutspuren.
    Ich schluckte einen dicken Brocken Haß und merkte mir den Stacheldraht für eine spätere Abrechnung vor. Man stellte, einen Teller mit einem belegten Brot vor sie hin, und der neue Mann sagte etwas. Zum erstenmal bewegte sich Rodelle; er drehte sich um, damit er Modesty beobachten konnte. Für ein solches Schauspiel hatte er etwas übrig; zusehen, wie sie ihren Kopf herunterbeugen mußte, um wie ein Hund an dem Brot zu knabbern. Mir machte das nichts aus, weil ich wußte, daß es der Prinzessin nichts ausmachte. Nahrung bedeutet Energie, und das ist wesentlich wichtiger als Stolz, wenn man mitten in einer solchen Sache steckt.
    Sie beugte sich hinunter und biß in das Brot. Das hielt ich für einen guten Zeitpunkt, die oberen Fenster zu erforschen. Wenn es mir gelänge, hinein- und dann hinunterzukommen, könnte ich sehen, wohin sie, wenn sie fertiggegessen hatte, gebracht wurde. Jetzt, da ich wußte, daß sie nicht unter schweren Drogen stand, wollte ich sie zuallererst von diesem Stacheldraht befreien.
    Es verbesserte meine Meinung von Garvin, diesem Genie, in keiner Weise, daß in meinem Handwerksack eine Zange zum Drahtschneiden fehlte. Also würde es etwas mehr als eine Sekunde dauern, sie zu befreien.
    Fünf Minuten später hatte ich Seil und Enterhaken von der Außenmauer heruntergeholt und stand unter einem Fenster, das etwa sechs Meter von dem beleuchteten Zimmer entfernt lag. Beim zweiten Versuch gelang es mir, den Enterhaken am Fenstersims festzumachen. Ich probierte vorsichtig aus, ob er hielt, und begann aufwärtszuklettern. Dann sah ich die Eisenstäbe innerhalb des Fensters. In dieser Nacht war ich offensichtlich nicht von Glück gesegnet. Ich saß auf dem Fenstersims, spürte Kälte in mir aufsteigen, und plötzlich wurde mir übel. In der nächsten Sekunde ging ein Licht im Zimmer an und ich kletterte so rasch vom Fensterbrett, daß ich beinahe herunterfiel. Während ich mich mit einer Hand anklammerte und mit den Füßen nach dem Seil suchte,

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