Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
Caspar.
«Schauplatz der Handlung …» sagte Collier verwundert. «Welch ein herrlich gespreizter Ausdruck. Wie kommt dieser Mann zu Caspar?»
Modesty zuckte die Achseln. «Vielleicht verwendet ihn Caspar als eine Art Beruhigungspille.»
«Was geschah bei dieser Party an der Costa Smeralda?» fragte Dinah.
«Ein Überfall.» Es war Willie, der Auskunft gab.
«Dieselbe Bande hat heuer bereits drei Überfälle ausgeführt. Für einen suchten sie sich Caspars Party aus. Dort war die übliche Gesellschaft versammelt: auf Gold gebettete Jugend, mittelalterliche Bonvivants, alterndes Jet-set. Plötzlich erschien ein halbes Dutzend Kerle mit Gesichtsmasken. Und mit Schießeisen. Nahmen, was ihnen gefiel – eine Ladung Bargeld, Gold und Schmuck im Wert von beinahe 150000 Pfund. Verschwanden in ein paar Schnellbooten auf dem Meer.»
«Und niemand hielt sie auf?» fragte Dinah.
«Einer von der Besatzung von Caspars Yacht hatte Auftrag, ungebetene Gäste abzuwehren. Sobald die Bande auftauchte, versuchte er sie zurückzuhalten. Bekam einen Schuß ins Bein ab. Das machte die anderen unschlüssig.»
«Mich hätte das nicht unschlüssig gemacht», sagte Collier nachdenklich. «Oder besser gesagt, es hätte nur meinen ersten Impuls bestärkt. Eine heile Haut ist mehr wert als Rubine. Jedenfalls meine Haut. In unserem Familienwappen sind zwei weiße Federn auf knallgelbem Grund. Unser Motto: ‹Bitte, nicht schießen, ich komme mit erhobenen Händen!›» Er blickte Modesty an. «Wenn wir zu dieser Festivität gehen, mußt du es auf dich nehmen, Dinah die Kleider und ihre Träger zu beschreiben. Mir fehlt dafür das entsprechende Vokabular.»
Modesty lächelte und sagte: «Geht in Ordnung. Willie?»
«Ich bin dafür, Prinzessin.» Er sah sie vergnügt an.
«Vielleicht gable ich mir dort etwas Nettes auf. Es ist schon eine ganze Weile her, seit ich auf Nerzfang ging.»
«Drei Wochen», sagte Modesty. «Wie war das mit der Tochter des italienischen Sardinenhändlers?»
Willie schüttelte den Kopf. «Vielleicht ein Eichhörnchen. Kein Nerz. Obwohl sie sich redlich bemühte.»
Collier lachte und sagte: «Du bist ein Wüstling par excellence.» Er sah sich im Restaurant um. «Die Musik ist nach Hause gegangen, wir sind die letzten Gäste, und der Oberkellner sieht aus, als würde er sich jeden Moment den Pyjama anziehen. Sollen wir gehen?»
Modesty nickte. «Willie und ich werden Caspar sagen, daß wir gern zu seiner Party kommen. Geh du mit Dinah vor zum Auto, dann haben wir eine Ausrede, um von Caspar loszukommen. Sonst hält er uns fest, bis die Bar schließt.»
«Okay.» Collier stand auf. «Wir sehen euch in ein paar Minuten.»
Sie hatten keine Mäntel, denn es war eine warme Nacht. Eine lange dunkle Zufahrt führte an der
Boule d’Or
vorbei zum hinten gelegenen Parkplatz. Collier schlenderte zufrieden den Weg entlang und hielt seine Frau am Arm. Als dann aber die tristen Probleme, die er beiseite geschoben hatte, wieder auftauchten, verschwand das Gefühl der Zufriedenheit. Er fragte sich bedrückt, wie lange es dauern würde, bis Dinah sich wieder so unterhalten würde wie eben jetzt. Sie wußten beide, daß diese paar Wochen ihr letzter Luxus waren. Die Jahre, die vor ihnen lagen, versprachen wenig mehr als öde Eintönigkeit. Vielleicht war es töricht gewesen, das zu tun, was er getan hatte …
Plötzlich wurde er ärgerlich mit sich selbst; er war nahe daran, sich selbst zu bemitleiden, und Dinah könnte seine Stimmung spüren. Er drückte zärtlich ihren Arm und sagte: «Glücklich, mein Liebes?»
Sie nickte. «Es tut gut, mit Modesty und Willie beisammen zu sein. Vielleicht, weil wir uns an ihrer Seite völlig zu Hause fühlen.»
Collier antwortete langsam: «Wenn man mit Menschen eine recht gute Imitation der Hölle erlebt hat und überzeugt war, daß keiner lebend davonkommen wird, dann zeigt sich der wahre Kern jedes Menschen. Und wenn man doch irgendwie durchkommt und feststellt, daß man noch am Leben ist … nun, das erzeugt Bindungen ganz besonderer Art.» Er lachte ein wenig, um seinen Worten die Schwere zu nehmen. «Wie ein Veteranenverein.»
«Ja, so ähnlich», sagte Dinah trocken. «Jedenfalls gibt es uns eine Ahnung davon, was Modesty und Willie füreinander empfinden –» Sie hielt abrupt inne, denn er war plötzlich stehengeblieben, und sie spürte, daß sein ganzer Körper erstarrte.
Mit leiser, verzweifelter Stimme sagte er: «Mein Gott. Ich muß sie aufhalten. Hol Modesty. Rasch.
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