Modesty Blaise 07: Die silberne Lady
jetzt, was sie gesagt hatte, und streckte seine Hand nach der ihren aus, als sie neben ihn getreten war.
Es war ihm, als hätte sich sein Blut in Champagner verwandelt. Die Müdigkeit seines schmerzenden Körpers wurde dadurch nicht ausgelöscht, aber sie war nicht mehr wichtig. Dieses völlig unerwartete starke Gefühl machte ihn sogar ein wenig schwindlig, aber er hörte sich selbst vor Freude lachen.
Es war vorbei. Die lange Qual lag hinter ihm, und er lebte wieder. Die Zelle, die Drogen, die bohrenden Verhöre, der Schmutz, das ekelerregende Entsetzen vor Clares Monologen, die wachsende Angst vor der Folter unter den erbarmungslosen Händen Sextons … alles das war vorbei. Ein wenig verwirrt schaute er wieder in die freie Natur. Es war kein schönes Tal, mit den unfruchtbaren Hängen und der breiten, mit Felsen übersäten Talsohle.
Aber der Frühling hatte eingesetzt, das junge Gras sproßte auf den kargen Erdflecken und zwischen den Steinen hervor. Die zerzausten Büsche waren wieder grün. Insekten summten in der Luft, und über der Linie des Bergrückens war der blaue Himmel ein hoher Dom, in dem eine goldene Sonne stand.
Modesty sagte: «Schön, nicht?»
Er nickte. Sie stand da und schaute in das Tal hinaus, als habe sie es noch nie gesehen, und trotz der dunklen Ringe unter ihren Augen wirkte ihr Gesicht sehr jung.
Tarrant wußte, daß er in diesem Augenblick eins mit ihr war. Der Augenblick würde vergehen, aber er fühlte, daß er aus dem dunklen Schoß der Höhle neu geboren worden war und daß ihm die Gabe geschenkt worden war, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Es war ein Gefühl, das er mit keinem anderen vergleichen konnte, das er je erlebt hatte, und er wußte, daß er nie mehr ganz derselbe sein würde.
Dieses unglaubliche Glücksgefühl sang in seinem Blut. «Ja, es ist sehr, sehr schön», antwortete er.
Der plötzliche Lärm des Hubschraubers, der über dem Bergrücken erschien, erschreckte ihn nicht. Als Modesty seinen Arm berührte und niederkniete, folgte er ihr. Sie griff nach dem Rucksack und wechselte das Magazin der M 16 aus, dann beobachtete sie den Hubschrauber, der sich zur Seite neigte und das Tal entlangflog, kaum ein paar hundert Meter von ihnen entfernt.
Sie sagte: «Es könnten Verstärkungen sein, die Colonel Jim gerufen hat, aber –»
Sie brach ab. In der offenen Tür des Helikopters saß die unverwechselbare Gestalt Willie Garvins und winkte langsam. Tarrant hörte die Erleichterung in ihrer Stimme, als sie sagte: «Sie haben es also geschafft. Und Willie versichert sich, daß wir ihn auch sehen. Er weiß, daß ich hier ein ganzes Waffenlager habe.»
Sie standen wieder auf. Modesty hängte sich bei Tarrant ein und winkte mit dem Gewehr. «Willie hat das gut gemacht. Außer mir gibt es niemanden, der vorsichtiger ist.»
Tarrant schaute sie an und bemerkte, daß sie das ganz ernsthaft anerkennend gemeint hatte. Er nahm sie bei der Hand und fing an zu lachen.
15
An einem Morgen Anfang Mai, ein paar Minuten nach 5 Uhr 30, zog in einem Büro in Whitehall Sir Gerald Tarrant den Stecker des elektrischen Rasierapparats aus der Steckdose und legte den Rasierapparat in eine Lade des Schreibtischs. Er strich mit der Hand über sein Kinn, zog sein Jackett an und rückte seine Krawatte zurecht.
Zehn Minuten später hielt sein Chauffeur bei Curzon Gate, und Tarrant ging mit schnellem Schritt durch den Hyde Park. Die Sonne war noch nicht lange aufgegangen, und die Luft war frisch, aber nicht kalt. Er fühlte sich wohl und freute sich auf den halbstündigen Spaziergang zu seiner Wohnung.
Ein Monat war seit dem Tag vergangen, an dem ihn Modesty aus dem Château Lancieux herausgeholt hatte.
Während dieser Zeit hatte er zehn Tage in der Klinik von Dr. Durand verbracht, der eine Reihe von Tests mit ihm durchführte und ihn medikamentös behandelte. Dann war er zwei Wochen zur Rekonvaleszenz in Modestys Haus westlich von Tanger gewesen. In diesem Haus hatte Modesty gelebt, als sie ‹
Das Netz
› leitete. Es lag am Berg, mit Ausblick über das Meer. Moulay, Modestys Verwalter, hatte Tarrant liebevoll betreut.
Sie hatte Blumen in die Klinik geschickt und ihn in Tanger für einer Tag besucht. Zuerst war es ihm seltsam vorgekommen, daß weder sie noch Willie mit ihm Kontakt aufnahmen, später verstand er es und war dankbar. Die Reaktion auf das Erlebte setzte ein, und er war froh, daß sie ihn in diesem Zustand nicht gesehen hatte, als er an unerklärlicher Schwächeanfällen
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