Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
mein kleiner Dummkopf, außer du bist zu gemein und egoistisch, um mich aufzunehmen, zu kochen, zu putzen und meine Wäsche zu waschen.»
«Ja, das bin ich», erwiderte sie fröhlich. «Morgen kannst du dir ein Hotel suchen, Dick.»
Er grinste. «Es war bloß ein Versuch, Lady. Wenn ich ein Journalist sein soll, dann muß ich mich doch auch wie ein solcher benehmen. Wie lang willst du hierbleiben?»
«Ein paar Wochen. Dann möchte ich Luke in sein Studio zurückbringen.» Willie unterbrach: «Wenn er allein ist, wird er nicht mehr regelmäßig arbeiten, Prinzessin. Du mußt dir klarwerden, wie lang du ihn betreuen willst.»
«Ich weiß, Willie, mein Schatz. Er braucht ein mitfühlendes weibliches Wesen, das alles für ihn organisiert und mit ihm schläft. Ich dachte, ich würde mich nach unserer Rückkehr noch einen Monat um ihn kümmern. Dann schicke ich ihn zu John Dall hinüber.»
Kingston sagte: «Ach, das ist einer deiner Millionäre, nicht wahr? Der amerikanische Industriemagnat.»
«Er ist mein einziger Millionär, und er hat eine Organisation hinter sich, die groß genug ist, um Luke mit allem zu versorgen, was er braucht, angefangen von einem wirksamen Schutz bis zu den häuslichen Annehmlichkeiten.» Sie sah Willie an. «Johnny würde es liebend gern machen. Er war überglücklich über das Bild, das ich ihm schickte.»
«Was für ein Bild?» fragte Kingston rasch.
«
Herr der Bergwelt
. Hieß es nicht so, Willie?»
«Oder
Röhrender Hirsch
, ich verwechsle sie immer.»
Kingston seufzte und stand auf. «Ich gehe schlafen», sagte er trübsinnig. «Vielleicht kann ich die Ungerechtigkeit der Welt im Schlaf vergessen. Luke Fletcher wird von einem einfachen, aber gesunden und willfährigen Mädchen aus dem Ozean gezogen, die ihm ein Bett, Nahrung und ihren Körper zur Verfugung stellt, ihn von früh bis spät verwöhnt und
dann
noch für die Befriedigung seiner künftigen geistigen und körperlichen Bedürfnisse sorgt, und zwar auf Kosten eines Millionärs. Ich kann nur sagen: dem armen alten Kingston passiert so etwas nie.»
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Am nächsten Morgen, zwischen zehn und zwölf Uhr, malte Fletcher eine kleine bezaubernde Meerlandschaft.
Während er arbeitete, sprach Dick Kingston mit ihm.
So hatte es Fletcher selbst bestimmt. Es war eindeutig, daß er nicht mehr an das Geheimnis seines Verschwindens denken, andererseits einem Freund von Modesty nichts abschlagen wollte. Wenn er erklärte, daß er unbedingt arbeiten müsse, aber bereit sei, Kingston dabei zuzuhören, würde er seine persönliche Beteiligung auf ein Minimum halten können.
Sehr sorgfältig erklärte ihm Kingston zweimal seine Theorie.
Das erste Mal skizzierte er sie bloß, das zweite Mal nannte er mehr Fakten, Daten und andere Details. Fletcher äußerte sich nicht und schien kaum begriffen zu haben, was gesagt wurde, doch in der Nacht mußte ihn Modesty aus einem wilden Alptraum aufwecken; er träumte, daß ihm ein gesichtsloser Chinese den oberen Teil des Kopfes abschneide. Am Morgen rief Modesty Kingston in seinem Hotel an, und er war eine halbe Stunde später in der Villa.
«Ein Chinese?» wiederholte Kingston, rieb nachdenklich seinen Nacken, lehnte sich im Strecksessel zurück und blickte auf die Fülle von Bougainvillea-Ranken, die man so gezogen hatte, daß sie einer Hälfte des Balkons Schatten spendeten.
Willie gab ihm einen Longdrink. «Dieser Chinese soll, wie die Prinzessin berichtete, etwas ähnliches gehabt haben wie das Küchengerät, mit dem man die Kappe eines gekochten Eis abschneidet, aber groß genug, um Lukes Kopf zu umfassen. Er wollte eine Trepanation vornehmen.»
«Warum hat Modesty das erzählt? Es war doch sein Alptraum.»
«Sie weckte Luke auf und brachte ihn dazu, alles herauszuplappern und es von der Seele zu reden. Am Morgen wußte er nichts mehr davon und erinnerte sich nur noch an den Chinesen, aber die Prinzessin wußte, was er ihr erzählt hatte.»
Kingston brütete vor sich hin. «Es hat vielleicht nichts mit dem zu tun, was ich ihm gestern gesagt habe», meinte er schließlich. «Sonst noch etwas?»
«Nein. Modesty sagte dir ja am Telefon, daß es wenig Sinn hat, hierher zuhetzen. Vielleicht hast du etwas in Luke ausgelöst, vielleicht nicht. Wir können bloß abwarten.»
Kingston nickte widerwillig. «Trotzdem möchte ich, wenn ich schon hier bin, mit ihr sprechen, Willie. Und auch mit Fletcher.»
«Das geht nicht. Sie sitzt.»
«Was?»
«Sie sitzt für ihn. Er malt sie. Luke war
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