Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
nicht?«
»Geheimagenten ziehen es vor, ihre Papiere zu essen. Es ist romantischer. Wenn du willst, können wir sie zuerst verbrennen.«
Pennyfeather grinste. »Ach, ihr nehmt mich auf den Arm, nicht?«
Modesty fragte: »Hatte irgendjemand einen besonderen Grund, das Mädchen zu entführen? War sie reich? Wusste sie etwas? Hatte sie Feinde?«
Vaubois zuckte die Achseln. »Sie kam aus dem East End von London und war die Tochter eines Arbeiters.«
Nach kurzem Stillschweigen sagte Modesty: »Jedenfalls vielen Dank, René. Vielleicht möchten Sie noch einen Blick auf den Talisman und die Aufzeichnungen von Martels Gestammel werfen. Sie hatten wenig Zeit dazu, während ich Ihnen den Hergang erzählte.«
Willie gab Vaubois den Notizblock. Vaubois überflog die Worte und halben Sätze und sagte: »Im Augenblick fällt mit nichts dazu ein. Das Einzige, was mich verwundert, ist, dass er auf Englisch vor sich hinfantasiert hat.«
»Das war, nachdem ich, um ihn zu ermutigen, gesagt hatte, dass Hilfe in Gestalt von Willie Garvin auf dem Weg sei. Ich bin überzeugt, dass er den Namen kannte. Es wäre erstaunlich, wenn es anders wäre, nachdem er in den Tagen des ›Netzes‹ in dieser Gegend gearbeitet hat. Sicherlich hat er auch gewusst, wer ich bin. Vielleicht hat ihn das irgendwie programmiert, sodass er, sobald er halb bei Bewusstsein war, sich bemüht hat, Englisch zu sprechen.«
»Es ist möglich«, sagte Vaubois, »aber warum dann dieses seltsame Bruchstück auf Französisch? Sie schrieben ›
pas la vie
‹, aber es könnte auch ›pas l’avis‹ heißen.«
Er trennte die zwei Worte deutlich.
Pennyfeather sagte: »Ich sehe keinen Unterschied.«
Modesty stand auf. »Beide Variationen sind ziemlich sinnlos, Giles. ›
Pas la vie
‹ – nicht das Leben. ›
Pas l’avis
‹ – nicht die Meinung. Man könnte noch andere Versionen kombinieren, aber nichts ergibt einen Sinn.« Sie schob den Vorhang beiseite, schloss die Glastür und schob den Vorhang wieder zurecht. »Gut, fassen wir noch einmal zusammen. Ich wüsste gern, was Martel wollte, aber auch wenn wir nichts erraten können, muss ich seinem Bruder den Talisman bringen und ihm berichten, was ich weiß.«
»Modesty Blaise sucht den
hit man
der Union Corse auf – das könnte missverstanden werden«, sagte Tarrant nachdenklich.
Sie setzte sich zu ihm und lächelte. »Das werde ich bedenken, wenn es so weit ist. Jetzt, wo Giles meine engelsgleichen Eigenschaften geweckt hat, gibt es kein Zurück.«
Hundert Meter entfernt nahm Dominic Silk einen Kopfhörer ab und flüsterte: »Ach, endlich kann ich etwas hören.«
»Weil jemand das Fenster oder die Tür geschlossen hat«, sagte der untersetzte Mann. »Bis jetzt gab es kein Glas, das hätte schwingen können.«
Dominic fluchte leise und inbrünstig. »Bis jetzt hätte ich mehr gehört, wenn ich mit einem Hörrohr unter dem Balkon gesessen hätte.«
Der untersetzte Mann nickte. »Manchmal kann man zu klug sein. Wenn Sie ein Hörrohr verlangt hätten, hätte ich eins mitgebracht.«
Little Krell näherte sich sehr rasch, drehte sich auf einem Fußballen und schwang den anderen Fuß in einem verkehrten Halbkreisfußschlag gegen die Brust des Gegners. Jeremy Silk bewegte sich ebenso rasch und fing den Schlag auf, indem er ihn mit dem Unterarm abblockte. Sein rechter Fuß holte aus, um Little Krells Standbein wegzufegen.
Little Krell ließ sein Bein den Schlag empfangen, fiel auf die Hände und entfernte sich, Rad schlagend, aus der Gefahrenzone. Sofort stand er wieder auf den Beinen, seinen fassähnlichen Körper wie ein Schmetterling in perfektem Gleichgewicht haltend. Der beinahe kreisrunde Kopf nickte beifällig. »Besser«, sagte er.
Es war Vormittag, und sie hatten bereits mehr als eine Stunde im Trainingsraum gearbeitet. Jeremy Silk trug über Herz, Lenden und Hals einen Plastikschutz, und selbst damit konnte ein Schlag von Little Krell verheerend sein. Little Krell trug keinen anderen Schutz als seine eisernen Muskeln.
»Jetzt ruhen wir uns aus«, sagte er und hockte sich auf die Schenkel.
Jeremy setzte sich auf eine Truhe und überlegte, dass er Little Krell noch nie sitzen oder liegen gesehen hatte.
Vielleicht schlief er auch in dieser hockenden Stellung.
Jeremy zog sein schweißtriefendes Turnleibchen aus und fragte: »Bist du jemals Modesty Blaise begegnet, als sie hier das ›Netz‹ leitete?«
Die kleinen Augen zwinkerten, und die Kanonenkugel nickte.
»Erzähl mir, was du über sie
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