Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
Ordnung. Wenn Modesty nicht aufgab, musste es irgendeine Hoffnung geben. Dabei musste man es belassen. Er sah den Lauf des Revolvers an und konzentrierte sich auf das Warten.
Willie Garvin hing senkrecht im Wasser, der Auftrieb seines Körpers zog ein wenig an der Kette, die seine Füße festhielt. Sein Kopf war gesenkt und jeder Muskel entspannt, außer jenen, die die Luft zurückhielten, die seine Lungen ausatmen wollten – verbrauchte Luft, deren Sauerstoffgehalt mit jeder Sekunde abnahm. Er hatte sein Gehirn gleichsam in ein dunkles Tuch gehüllt, um Hoffnung und Angst auszuschalten, denn beide würden wertvolle Energie verbrauchen.
Sein Körper war noch nicht verzweifelt. Hätte er sich erlaubt zu denken, hätte er gewusst, dass er in einer Minute nicht mehr im Stande sein würde, sein Zwerchfell zu kontrollieren. Es würde sich entspannen und die Lungen entleeren; dann würde es sich zusammenziehen und nach Luft suchen. Aber es gab keine Luft. Es gab nur Wasser.
Irgendwo in der Tiefe seines verdunkelten Gehirns lag das Wissen, das es ihm ermöglichte, sich bis zur letzten Sekunde am Leben zu erhalten, das Wissen, dass sie nahe war und ihre Erfindungsgabe unvergleichlich.
Ein ungewöhnliches Rauschen des Wassers ließ ihn aufmerken, und eine Sekunde später spürte er ihre Hand knapp über dem Knie auf seinem Bein. Sie war tief getaucht, um von unten wieder heraufzukommen.
Das war rascher und weniger ermüdend, als abwärts zu schwimmen. Ihre Hände lagen auf seinen Hüften … jetzt auf seinen Schultern. Sie presste sich an ihn, schlang die Beine um seine Schenkel und die Arme um seinen Hals, um die Balance zu halten.
Eine Welle der Erleichterung erfasste ihn, als er sich entspannte und gleichmäßig durch die Nase ausatmete.
Ihre ein wenig geschürzten Lippen pressten sich gegen seinen Mund. Vorsichtig öffnete er ihn, um ihre Lippen zu umfassen. Ihr Kopf war nach der Seite geneigt, und sie hielt den Druck aufrecht, um ihre Münder gegen das Wasser abzuschirmen. Dann atmete sie tief in seine Lungen aus, und wie Balsam verbreitete sich die Luft in seinem Körper, während das hungrige Blut den ersehnten Sauerstoff erhielt.
Die Luft, die sie ihm gab, war weniger als fünfzehn Sekunden alt, und Willie Garvin erschien sie wie frische Bergluft. Er atmete tief ein und spürte, wie sein Herzschlag normal und das Dröhnen in seinem Kopf leiser wurde. Jetzt griff sie nach seinen Armen und ließ sich hinaufsteigen. Eine Hand strich beruhigend über seine Wangen, dann war sie still, und ihre Knie ruhten gewichtslos auf seinen Schultern.
Knapp neben Willies gefesselten Händen und dem Haken, an dem er hing, kam ihr Kopf an die Wasseroberfläche. Jetzt hatte sie Ringos Messer in der Hand, und während sie die scharfe Klinge an das Seil legte, rief sie: »Alles in Ordnung, Giles, aber ich werde noch zehn Minuten brauchen. Pass weiter auf.«
Sie konnte ihn nicht sehen, aber sie hörte vom Grubenrand seine Stimme. Sie war heiser vor Erleichterung. »Fabelhaft! Mach dir keine Sorgen um mich.«
Das Seil war durchtrennt, und sie entfernte es von Willies Gelenken. Seine Hände waren blutlos. Vermutlich spürte er gar nicht, dass sie frei waren. Wieder holte sie tief Atem und tauchte. Es war wichtig, ihm in diesem Stadium einen regelmäßigen Vorrat an beinahe frischer Luft zu geben, um seinem Körper genügend Sauerstoff zuzuführen.
Unter Wasser fühlte Willie, wie sie seine Schultern nahm und sich wieder hinunterließ. Zwar konnte er kein Gefühl in seinen Händen registrieren, aber er spürte, wie seine Arme sich bewegten, und wusste, dass Modesty das Seil entfernt hatte. Wieder schlangen sich ihre Arme und Beine um ihn, wieder suchte ihr Mund den seinen und fand ihn … dann der lange, herrliche Luftstrom in seine Lungen.
Wieder … und wieder.
Als sie zum sechsten Mal untertauchte, legte sie seine Arme um ihre Taille. Seine Hände schmerzten, aber das hinderte ihn nicht, sie festzuhalten, um wieder Mund an Mund zu pressen. Jetzt musste sie nicht mehr ihre Arme und Beine um ihn schlingen. Er spürte, wie sie sich bewegte, während sie in seine Lungen atmete, und wusste, dass sie ihre Hose auszog. Sie atmete ganz aus, dann presste sie seine verschwollenen Hände an ihre Taille, ein Zeichen, dass er sie festhalten sollte. Er gehorchte. Ihre Zehe berührte sein Bein und fuhr aufwärts. Ein anderes Zeichen. Er hob sie hoch. Zehn Sekunden vergingen. Ihre Zehe berührte seine Brust und fuhr abwärts. Er zog sie
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