Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
hochgehen?‹ Dann hat er aufgelegt und dem Preis zugestimmt. Er hat das Telefon auf meinem Schreibtisch benutzt und selber gewählt. Namen hat er keine genannt, Willie. Zuerst dachte ich, ich hätte die Nummer mitbekommen, aber ich muß mich irgendwo geirrt haben.«
Inzwischen war Willie Garvin dabei, seine linke Handschelle zu öffnen. »Wie meinst du das, du dachtest, du hättest die Nummer mitbekommen?«
»Naja, ich bin sehr musikalisch. Das ist so ein Talent. Ich kann ohne Noten Klavier spielen und so was.«
Die eiskalten Augen starrten ihn durch den Keller an, und Garvin fragte ihn barsch: »Wovon, zum Teufel, redest du eigentlich?«
»Das hat was mit der Telefonnummer zu tun«, erklärte Bernie rasch. »Ich habe nämlich eins von diesen Tastentelefonen, und die verschiedenen Ziffern machen bestimmte Töne, wenn man sie drückt. Wenn man will, kann man sogar kleine Melodien darauf spielen.
Zum Beispiel, wenn man 533-422 wählt, dann ergibt das die ersten sechs Noten von ›Hänschen klein, ging allein‹. Ich kann zwar nicht richtig Notenlesen, aber ich kann jede Melodie ohne weiteres in do-re-mi-fa und so aufsagen. Osolemiosation heißt das, aber frag mich bloß nicht, warum. Naja, und dieser John hat beim Wählen den Hörer von sich weggehalten, so daß ich aus den Pieptönen in Gedanken eine kleine Do-re-mi-faMelodie daraus machen konnte. Kriegst du die andere Handschelle auch bald ab, Willie?«
»Ich versuch’s ja, das siehst du doch? Und wobei hast du dich geirrt?«
»Keine Ahnung«, schüttelte Bernie den Kopf.
»Gleich danach ist er gegangen, und ich hab mir die Nummer aufgeschrieben. Am nächsten Tag hab ich dreimal versucht, da anzurufen, aber es ist nie jemand rangegangen. Dann hat zwar mal einer abgehoben, aber der Mann war von einem Taxistand irgendwo in der Provinz, also hab ich wohl irgendwo eine Zahl verwechselt.«
»Kann sein«, sagte Willie Garvin nach einer Pause.
»Weißt du die Nummer jetzt noch?«
Bernie starrte ihn an. »Nein, das ist doch schon Wochen her.«
»Kannst du dich auch nicht mehr an das Do-re-mi erinnern?«
»Das hab ich jetzt völlig vergessen. Was willst du denn überhaupt damit?«
»Es interessiert mich eben. Du hast doch gesagt, daß du die Nummer aufgeschrieben hast. Wohin hast du sie geschrieben?«
Bernie gab sich Mühe, seinen Ärger zu verbergen.
Mehr als alles andere in der Welt wollte er diesem Alptraum entkommen, und Willie Garvin war dafür seine einzige Hoffnung. Nach Bernies Ansicht sollte er damit aufhören, sinnloses Zeug zu fragen, sondern sich lieber auf die Handschellen konzentrieren, aber so etwas sagte man einfach nicht zu dem Mann, der einen davor bewahren konnte, in den nächsten paar Stunden zu Brei geprügelt zu werden. »Mein Terminkalender lag offen auf dem Schreibtisch, und da hab ich hineingekritzelt, solange ich die Töne noch im Ohr hatte.«
»So ein großer Bürokalender?«
Bernie knirschte mit den Zähnen. »Nein, ein Taschenkalender.«
»Und wo ist der jetzt?«
»In meiner Wohnung beim Eaton Square, in meinem Jackett. Als sie mich gekidnappt haben, hatte ich es gerade nicht an.«
Dann folgte eine Minute lang Stille. Bernie hörte, wie sein Mitgefangener zufrieden ausatmete, und sah ihn aufstehen und sich die Handgelenke massieren.
Dann setzte sich Garvin in Bewegung, ging an Bernie vorbei auf die Tür hinter der Maueröffnung zu.
Bernie geriet in Panik. »Willie, um Himmels willen, laß mich doch nicht hier zurück! Warte! Hör zu, Mann, ich bezahle auch! Willie,
bitte
!«
Die große Gestalt in der Maueröffnung blieb stehen und Bernie sah kurz das blutverschmierte und zerschlagene Gesicht, als es sich ihm zuwandte. Willie Garvin sagte: »Sei mir nicht böse, Bernie, aber ich kann jetzt nicht zehn Minuten damit verschenken, deine Handschellen aufzubasteln. Außerdem hätte ich dich dann auch noch am Hals.«
Bernie stöhnte entsetzt auf und rappelte sich hoch, wobei ihn die Kette zu einer kauernden Haltung zwang. »Bei allen Heiligen des Himmels, bring mich hier raus«, stieß er mit klappernden Zähnen hervor.
»Ich bezahle dich dafür. Mann, sag deinen Preis, und du bekommst alles, was du willst.«
Willie hatte sich schon zum Gehen gewandt, jetzt überlegte er jedoch noch einmal, und dann kam er langsam zu dem gefesselten Mann zurück. »Na gut«, sagte er widerwillig. »Ich will’s mal riskieren. Dafür gibst du mir diese Telefonnummer, Bernie, wo unser Freund mit dem Bart angerufen hat, auch wenn du sie
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