Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
vielleicht nicht ganz richtig mitgekriegt hast.«
Bernie brachte nur ein unartikuliertes Geräusch seiner Dankbarkeit heraus und mußte die Beine zusammenpressen, weil er in der unglaublichen Erleichterung, die ihn plötzlich überströmte, beinahe die Beherrschung über seine Blase verlor. »Du bist ein Schatz, Willie, wirklich ein Schatz«, plapperte er. »Die Nummer, ja natürlich. Alles, was du willst,
alles
.«
»Knie dich hin und heb die Hände hoch, damit ich in dem Licht hier ein bißchen sehen kann«, befahl Willie. Bernie gehorchte bereitwillig. Sein Gefährte stellte sich hinter ihn und fing an, sich an einer der Handschellen mit einem Stück Draht zu schaffen zu machen.
»Geschafft haben wir’s aber noch lange nicht«, sagte er grimmig. »Da sind immer noch die beiden Schlägertypen am Ende der Treppe. Wir werden versuchen, an ihnen vorbeizukommen, aber vielleicht müssen wir auch durch.«
»Du zeigst es den Dreckskerlen schon.« Bernie sagte das eher wie ein Gebet. »Wenn’s hart auf hart geht, dann bist du der Beste, Willie. Das sagen sie doch alle.«
»Na, hoffen wir, daß sie recht haben. Ein paar gebrochene Rippen sind dabei nicht gerade eine große Hilfe. Und du bist auch keine, Bernie. Und jetzt halt’s Maul und laß mich nachdenken.«
Fünf Minuten später ging auch die zweite Handschelle auf, und Bernie Chan konnte aufstehen. Der Angstschweiß hatte seine Kleider völlig durchnäßt, aber er war frei. »Bleib dicht hinter mir, und mach alles, was ich sage«, knurrte Willie. »Und zwar genauso, wie ich es sage.«
»Jawohl«, krächzte Bernie. »Jawohl, Willie.« Sogar in dem Dämmerlicht konnte er die Blutflecken auf dem Anorak des großen Mannes vor sich sehen. Er fragte sich, wie ernst Willie Garvins Verletzungen wohl waren. Hoffentlich nicht allzu schlimm, lieber Gott, betete er und unternahm damit seinen ersten Versuch in zweiunddreißig Jahren, sich mit dem Allmächtigen in Verbindung zu setzen. Willie ging los, und Bernie folgte ihm die Steinstufen hinauf, die zu einer Tür am oberen Ende führten. Neben der Tür war ein Lichtschalter.
Willie griff hindurch und schaltete das Licht aus. Die Tür quietschte beim Öffnen, und Bernie zitterte schon wieder vor Angst. Zwei volle Minuten lang machte Willie keine Bewegung, wobei er Bernies Arm schmerzhaft festhielt, dann entspannte er sich ein wenig und machte vorsichtig einen Schritt nach vorn.
Irgendwo im Haus lief ein Radio, oder vielleicht war es auch ein Fernseher. Bernie konnte kaum etwas erkennen, weil das einzige Licht durch den Spalt in der Tür vor ihnen fiel, und auch das war nur äußerst schwach. Er hatte den Eindruck, sie wären in einer großen Küche oder einem Waschraum mit Steinfußboden. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er ein winziges blaues Licht, die Zündflamme eines Durchlauferhitzers. Willie zog ihn ein Stück vorwärts. Er hörte das Kratzen eines Stuhls, dann wurde er auf einen hölzernen Sitz gedrückt. Willie flüsterte ihm ins Ohr: »Bleib da sitzen und rühr dich nicht.«
Für einen kurzen Augenblick sah er ein großes helles Viereck, als Willie die Tür öffnete, aber gleich darauf war wieder alles dunkel. Offenbar hatte er sofort den Lichtschalter draußen gefunden. Bernie hörte ihn nicht zurückkommen, und er zuckte zusammen, als ihm jemand auf die Schulter tippte und wieder flüsterte:
»Draußen ist ein langer Flur mit ein paar Türen an der Seite. Ich glaube, am Ende gibt es eine Hintertür. Warte noch hier, ich seh mal nach, ob sie abgeschlossen ist.«
»Du kommst doch zurück und holst mich, Willie, ja?«
Eine Hand tätschelte seine Wange. »Keine Panik.«
Dann verschwand Willie wieder, vollkommen geräuschlos. Er hatte offenbar die Tür offen gelassen, denn nun klang die Melodie einer bekannten Fernsehreklame ganz deutlich an Bernies Ohr. Für ihn hieß das, daß die beiden brutalen Kerle, die Willie in die Rippen getreten hatten, gar nicht weit entfernt waren, und er spürte kleine Spinnen mit eiskalten Beinen sein Rückgrat hinaufkriechen. Jetzt befielen ihn Zweifel.
Wenn Garvin eine Tür nach draußen fand und öffnen konnte, dann würde er doch bestimmt abhauen, und dann würde er, Bernie, hier sitzen und warten, bis schließlich … Unter der Anspannung dieser verschwommenen, aber nichtsdestoweniger fürchterlichen Vorstellungen krümmten sich seine Zehen, und er stieß beinahe einen Schrei aus, als eine Hand ihn an der Schulter berührte.
Wieder raunte
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