Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
Willie Garvin ihm etwas ins Ohr. »Zugeschlossen, aber an der Seite ist ein Fenster offen. Es geht hinaus in einen Garten. Los, komm.« Wieder wurde Bernies Arm mit diesem angenehm festen Griff gepackt, und Willie drängte ihn langsam den Korridor entlang. Ihm stockte das Blut, als sie an der Tür vorbeikamen, durch die der Fernseher zu hören war. Nach den Revolverschüssen zu urteilen, war ein Western im Spätprogramm.
Sie erreichten ein schmales, offenes Fenster. Bernie spürte die kühle Nachtluft auf seinem verschwitzten Gesicht, und im Licht des sichelförmigen Mondes erkannte er undeutlich die Silhouetten einer Hecke, eines kleinen Schuppens und eines Zaunes. »So, du gehst jetzt da raus«, flüsterte Willie ihm zu. »Warte auf mich an der Ecke von dem Schuppen da.«
»Warten? Was willst du denn noch hier?« Jeder weitere Aufenthalt in diesem Haus war für Bernie der reine Wahnsinn.
»Ich geh noch mal in die Küche und dreh den Gasherd voll auf. Die Zündflamme vom Durchlauferhitzer läßt es dann hochgehen, und mit ein bißchen Glück fliegt diesen Burschen das ganze Haus um die Ohren.« Er verschwand in dem dunklen Flur. Bernie Chan zögerte erst, dann kroch er umständlich durch das Fenster, wobei er versuchte, keinen Lärm zu machen. Als seine Füße den Erdboden berührten, fiel ihm ein Stein vom Herzen, aber er hatte immer noch eine so große Angst, seine Entführer durch ein Geräusch auf sich aufmerksam zu machen, daß er ganz langsam auf Händen und Knien durch das harte Gras auf den Schuppen zurobbte. Dort ließ er sich keuchend zu Boden fallen und überlegte, ob er warten oder davonlaufen sollte.
Das nächstliegende war es natürlich, sich hier aus dem Staub zu machen, aber der Garten stand voller hoher Büsche, und in der Dunkelheit konnte Bernie nicht richtig sehen, wo es hinaus ging. Er entschied, es sei wohl sicherer, mindestens noch eine halbe Minute oder so auf Willie Garvin zu warten.
Dieser Entschluß gab ihm das Gefühl der Tugendhaftigkeit. Er kam gerade langsam auf die Beine, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Sein Kopf fuhr herum, und er erblickte die Umrisse des großen, dunkel gekleideten Mannes, der hinter der anderen Seite des Schuppens hervorgekommen war, nur ganz kurz, denn gleich darauf traf ihn der Strahl einer starken Taschenlampe und blendete ihn. Bernie Chans Blut stockte, und dann wandte er sich mit einem Aufschrei des Entsetzens zur Flucht.
12
Professor Stephen Collier betrachtete seine Karten. Ihm gegenüber saß seine Partnerin in einem bequemen Stuhl und nippte an einem Glas Montrachet. Sie hatte ihre schöne rote Perücke und die grünen Kontaktlinsen abgenommen, geduscht und eine Seidenbluse und weite Hosen angezogen. Ihr Gesicht war nicht mehr geschminkt.
Es war kurz nach Mitternacht, und man hatte sich im Wohnzimmer von Modestys Penthouse versammelt.
Links von Collier saß Dinah und befühlte nachdenklich ihre Spielkarten, die an den Rändern mit Markierungen in Blindenschrift versehen waren. Weng, der gerade mit Dinah zusammenspielte, saß zu seiner Rechten.
Sie spielten nun schon eine Stunde. Weng und Collier hatten den ersten Rubber gewonnen, was hauptsächlich Weng zu verdanken war, der von allen vieren am besten spielte. Nach dem Partnerwechsel war Weng nun mit Dinah zusammen, und die beiden hatten im zweiten Rubber schon eine Manche gemacht.
Modesty hatte die ganze Zeit ziemlich schlechte Karten gehabt, diesmal aber hatte sie genug, damit Collier Drei Ohne ansagen konnte. Er kam in der dritten Runde zum Stich und entwarf dann für sich seinen Spielplan. »Es wäre wirklich außerordentlich hilfreich, Weng«, sagte er grimmig, »wenn du deinen Gesichtsausdruck nur um ein ganz klein wenig ergründlicher machen könntest. Diese verschlagene orientalische Art kann man nämlich auch übertreiben.«
»Vorsicht, Weng«, warnte Dinah. »Er will etwas herauskriegen.«
»Ich weiß, Mrs. Collier«, sagte Modestys Hausgehilfe. »Und ich habe ein unergründliches Lächeln aufgesetzt.«
Dinah trug einen Morgenrock und war fertig zum Schlafengehen. Sie und Steve würden über Nacht bleiben, aber sie wollte auf keinen Fall zu Bett, bevor Willie Garvin nicht zurück war. Den anderen ging es genauso. »Also dann,
mes enfants
«, begann Collier. »Ich spiele jetzt die Coeur-Acht zu Modestys As, Dame, Bube, Zehn, Fünf und Zwei.«
Dinah betastete ihre Karten und bediente dann Coeur-Sechs. Collier verlangte: »Coeur-Dame vom Tisch, bitte, liebe
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