Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
gleich in ihrer Flanke auftauchen, von wo er die drei direkt in seinem Blickfeld hätte. Ein Schauer lief ihm den Rücken entlang. Dinah lauschte angespannt. Sie war der Reihe von Wagen zugewandt, die genau südlich von ihnen standen. Tarrant blickte in dieselbe Richtung. Collier drehte den Kopf, und in diesem Moment gab es eine plötzliche Bewegung zwischen zwei Autos, die zwanzig Schritte von ihnen entfernt parkten. Im Licht einer Straßenlaterne kam Modesty auf einmal durch die Luft geflogen; er sah genau, wie sie ihre Schulter und den durchgedrückten nackten Arm als Angelpunkt benutzte, um über das Dach eines niedrigen Capri zu flanken.
Ein Bein war am Körper angewinkelt, das andere schoß nach vorne, sobald sie den Wagen übersprungen hatte, und der Fußballen traf mit aller Kraft auf einen Körper im Schatten eines Volvo Kombi.
Eine dunkle Gestalt stolperte ins Licht der Laterne, hatte zwar ein wenig das Gleichgewicht verloren, blieb aber auf den Beinen. Etwas fiel klappernd zu Boden; es klang wie Stahl. Ein Stöhnen. Rasche Bewegungen.
Der Mann trug einen schwarzen Trainingsanzug und riß sich jetzt eine Strumpfmaske vom Gesicht, um besser sehen zu können. Mit wilder Hast ging er auf seine Angreiferin los, deutete eine Finte an und wirbelte dann äußerst gewandt herum, um von der anderen Seite einen hoch angesetzten Schwingertritt mit dem Fuß zu landen, der ihr ohne weiteres das Genick hätte brechen können, wenn er getroffen hätte.
Schon lange vorher schien sie dem Tritt durch eine leichte Neigung nach hinten auszuweichen, und Collier war wieder einmal Zeuge dieses erstaunlichen Phänomens, bei dem durch ihre Fähigkeit der Vorahnung, die einen wahren Meister im Nahkampf kennzeichnete, immer der Eindruck erweckt wurde, daß sie sich weit langsamer als ihr Gegner bewegte. Im selben Moment, als der Stiefel ihren Kopf nur gerade um den notwendigen Zentimeter verfehlte, machte sie eine Körperdrehung und trat dem Mann mit der Ferse in die ungeschützten Geschlechtsteile. Er gab ein kaum hörbares Wimmern von sich und stürzte zusammengekrümmt gegen die Seitentür des Volvo. Ihr Knie traf ihn genau über dem Nasenrücken, und als sein Kopf hochkam, versetzte sie ihm einen Schlag mit dem Ellenbogen auf einen Punkt hinter dem Ohr. Er ging zu Boden wie ein halbleerer Kartoffelsack und regte sich nicht mehr.
Collier atmete keuchend aus, räusperte sich und sagte dann im Tonfall einer beiläufigen Unterhaltung:
»Neulich hab’ ich mich mit einem Bekannten unterhalten, und der nimmt immer das Parkhaus nebenan unter dem Nationaltheater. Er meinte, daß die Toxophilen dort einfach einige Klassen besser sind.«
Dinah fragte besorgt: »Ist es vorbei? Ist Modesty in Ordnung?«
»Alles klar, Liebling. Der Bursche, den sie gerade in die Nüsse getreten hat, ist momentan ziemlich am Grübeln, aber das ist ja auch kein Wunder.«
Dinah hörte Modesty zurückkommen und streckte einen Arm aus. »Bist du wirklich okay, Modesty? Du riechst nach Blut.«
»Ich glaube, der Armbrustbolzen hat meine Haut über der dritten Rippe aufgerissen, direkt neben der linken Brust. Stimmt, ich blute da ein bißchen, aber es ist nur ein Kratzer, ehrlich, Dinah.«
Tarrant stand auf der anderen Seite des Lieferwagens. »Ich hab’ ihn nicht berührt«, sagte er, »aber es ist ein Bolzen von einer Armbrust, kein Zweifel. Auf diese Entfernung ist er tödlich.«
Collier hatte sein Taschentuch zusammengefaltet und drückte es jetzt gegen den Riß an ihrem Oberkörper. »Wir brauchen etwas zum Verbinden, bis dem Blut anfängt zu gerinnen«, sagte er. »Im Film tragen die Frauen immer Unterröcke, die man für solche Zwecke dann in Streifen reißen kann. Ihr beide solltet euch wirklich schämen. Dinah, her mit deiner Strumpfhose.«
Modesty winkte ab. »Nein, nimm’ lieber meine, die ist unten ohnehin schon völlig zerfetzt.« Dann sagte sie zu Tarrant: »Sagen Sie, können Sie diese Sache hier vertuschen? Ich hab’ keine Lust, meinen Namen als Opfer eines Mordversuchs in der Zeitung zu lesen.«
»Aber meine Liebe, wir können doch nicht einfach so hier verschwinden. Das ist eine Sache für die Polizei, und außerdem wollen Sie doch sicher ganz gerne herausfinden, wer der Mann ist und warum er Sie umbringen wollte.«
»Ich kenne ihn zwar nicht, aber er ist ein Profi. Der ist für den Nahkampf ausgebildet. Ein gekaufter Killer, würde ich sagen. Die Polizei wird niemals herausfinden, wer ihn geschickt hat, weil es irgendwo einen
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