Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
hielt sie in seine Arme gestützt, horchte nach ihrem Herzschlag und preßte sein Ohr an ihre Lippen, um ihren Atem zu hören. Während er Kräfte für die weiteren Anstrengungen sammelte, blickte er nach Westen zurück und sah durch den strömenden Regen etwas Rotglühendes. Das war jenes Nebengebäude, in dem sich die Waffenkammer befunden hatte. Leider half das Gewitter, das Feuer einzudämmen. Er fragte sich, ob wohl sämtliche Waffen und die gesamte Munition zerstört worden seien. Die Waffenkammer hatte aus zwei Abteilungen bestanden, die durch eine Steinmauer mit einem Bogendurchgang voneinander getrennt waren. Und da er noch weit von seiner Bestform entfernt war, hatte er nur die Zeit gefunden, in einer der Abteilungen eine Explosion hervorzurufen. Aber er schätzte sich äußerst glücklich, daß er dort nicht länger zugebracht hatte. Hätte er zwei Minuten länger gebraucht, um zu Modesty zu kommen, wäre es zu spät gewesen, um sie zu retten.
Während er sie im Arm hielt und ihr das nasse Haar aus dem Gesicht strich, zwang er sich dazu, sich die Wahrheit einzugestehen. Es war einfach eine Tatsache, eine harte und brutale Tatsache, daß man nicht hoffen konnte, irgendwo auf dieser Insel eine Zufluchtsstätte zu finden. Die Gegend war felsig und gestrüppreich, an einem Ende sehr dünn bewaldet, kaum Deckung vorhanden. Ganz bestimmt zu wenig, als daß man eine noch so kleine Chance gehabt hätte, sich dicht am Boden zu halten und sich durch eine Reihe von Treibern zu schlagen. Und was noch schlimmer war, auf der Jacht befand sich ein Funkgerät, das es für Thaddeus Pilgrim möglich machen konnte, seine Kontaktleute auf dem Festland anzufunken und irgendwann im Laufe des nächsten Tages einen Hubschrauber anzufordern.
Das würde die Jagd sehr kurz machen.
Bei Tagesanbruch würden das Kloster und die Nebengebäude und jeder Meter des Hafens abgekämmt werden. Dann würde auf einer Insel, die keinen als Versteck geeigneten Platz bot, eine organisierte Suche beginnen. »Das ist ein Saukerl, Prinzessin«, sagte Willie laut und wischte geistesabwesend den Regen weg, der über ihr Gesicht floß. Trotzdem empfand er eine Art von Freude. Denn gleichgültig, was die Zukunft bringen mochte: Sie lebte in diesem Augenblick, und er hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden und fürchtete sich nicht davor, allein zu sein. Er setzte seine ganze Konzentration ein, um alle möglichen äußeren Faktoren zu erwägen, und Minuten später entzündete sich in ihm der Funken einer Idee. Er erinnerte sich daran, im Sportboot eine Inselrundfahrt mit Dr. Tyl unternommen zu haben, den er für Garcia gehalten hatte. Er selbst hatte auf diesem Ausflug bestanden, weil er hoffte, es würde seinem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge helfen, wenn er das angebliche Hauptquartier des Netzes inspizierte. Ja … auf der südlichen Seite befanden sich steile Klippen, die auf einen steinigen, nicht mehr als zwei oder drei Meter breiten Strand abfielen, und … es könnte gehen. Es mußte gehen. Sie hatten keine andere Wahl.
»Halt uns die Daumen, Prinzessin«, sagte er und berührte mit seinen Lippen ihre nasse Wange. Dann hob er den Plastiksack auf, nahm sie auf und begann vorsichtig, über den südlichen Abhang der Hügelkette hinunterzumarschieren.
»Es herrscht offene Unzufriedenheit unter der GEA-Mannschaft, ja eigentlich unter der gesamten Mannschaft, Doktor«, sagte Mrs. Ram.
Es war zwei Uhr früh, und sie saß mit Thaddeus Pilgrim im Arbeitszimmer. Er wirkte ziemlich gelassen, abgesehen davon, daß ein Mundwinkel ab und zu in einer unwillkürlichen Bewegung zuckte. »Wir müssen tolerant sein, Mrs. Ram«, meinte er gütig. »Nicht alle unsere Freunde wissen die – äh –
Aufregung
zu schätzen, ein Szenarium zu schaffen, das plötzlich sozusagen ein Eigenleben bekommt. Die Boote sind sicher bewacht, nehme ich an?«
»Oh, natürlich, Doktor. Aber ich glaube, wir müssen davon ausgehen, daß Miss Blaise über Funk Botschaft an eine Person oder mehrere Personen übermitteln konnte. Kypseli, der Funker, bestätigt das.«
»Als Mr. Kypseli zur Besinnung gekommen ist, hat sie, soweit er verstanden hat, in einer chinesisch klingenden Sprache gesprochen«, sagte Thaddeus Pilgrim nachdenklich. »Aber man kann Kalivari nicht auf chinesisch sagen, oder? Hat Mr. Kypseli dieses Wort gehört?«
»Ich habe ihn darüber befragt, und er sagt mit ziemlicher Sicherheit nein. Er ist eine intelligente Person und in dieser Hinsicht
Weitere Kostenlose Bücher