Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
sich im Zimmer um und ging dann in den Ankleideraum. Hier kam das Licht aus einem einzigen Fenster, und ein Sofa stand an der Wand. »Auf das Sofa bitte, Miss Blaise«, sagte er.
Zusammen trugen sie Lafarge hinein, dann holte Weng seine Werkzeugtasche und stellte sie auf den Boden. »Danke, Miss Blaise«, murmelte er höflich. »Ich werde Ihnen im Penthouse Bericht erstatten, wenn diese Angelegenheit erledigt ist.«
Roger Lafarge kam langsam und mühsam wieder zu Bewußtsein. Er hatte Angst, obwohl er sich zuerst nicht erinnern konnte, warum. Dann verschwanden die Schatten des Vergessens, und die verworrene und bruchstückhafte Erinnerung an jene Momente stürzte auf ihn ein, als Modesty urplötzlich ein anderer Mensch geworden war, sich in ein erschreckendes Wesen verwandelt hatte, das ihn physisch zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen ließ, seine schwachen Verteidigungsversuche hinwegfegte und ihn zermalmte, als wäre er aus Papier gewesen. Er spürte Schmerzen, dort, wo sie ihm die Rippe gebrochen hatte, Schmerzen am Knie, an der Schulter, im Hals, an den Schenkeln. Er versuchte sich zu bewegen und stellte fest, daß er es nicht konnte.
Seine trägen Sinne sagten ihm, daß er auf etwas Weichem, aber nicht sehr Breitem lag, die Arme über den Kopf ausgestreckt, und daß seine Handgelenke mit etwas zusammengebunden waren, das sich wie ein Strick anfühlte. Seine Beine waren an den Knien abgewinkelt und gespreizt, die Füße standen auf dem Boden, und um die Knöchel fühlte er auch Stricke. Vielleicht, dachte er schaudernd, dieselben Stricke, die er für Modesty Blaise verwendet hatte. Mit seinem Mund stimmte auch irgend etwas nicht, und als er versuchte, ihn zu öffnen, stellte er fest, daß er auch das nicht konnte. Er was mit Heftpflaster zugeklebt und –
Oh Gott, er war nackt
! Splitternackt, mit gespreizten Beinen und schrecklich, schrecklich verwundbar! Mit größter Anstrengung öffnete er die Augen. Er war im Ankleideraum, lag auf dem Sofa, aber so weit unten, daß seine gebeugten Kniekehlen sich am Fußende befanden und seine Knöchel an den kurzen Holzbeinen festgebunden waren. Der Raum lag im Halbdunkel, die schweren Vorhänge waren zugezogen, aber von irgendwoher schien zu seiner Rechten ein seltsames blaues Licht.
Lafarge gelang es, den schmerzenden Kopf ein paar Zentimeter vom Sofa zu heben. Er sah mit verschwommenem Blick auf seinen nackten Körper und drehte sich dann zu der Lichtquelle, die sich an seiner Seite in Hüfthöhe befand. Einen Augenblick lang starrte er verständnislos, dann wurde sein Körper plötzlich von einem heftigen Krampf geschüttelt, und er hätte laut geschrien, wenn sein Mund nicht zugeklebt gewesen wäre.
Ein niedriger Tisch war neben das Sofa gestellt worden. Darauf befand sich ein kleiner Spiritusbrenner, von dessen gleichmäßig blauer Flamme das Licht herrührte, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Neben dem Brenner lag eine rechteckige Blechbüchse, in der er wahrscheinlich aufbewahrt worden war. Jetzt diente sie nur als Unterlage für eine Vorlegegabel, die quer darüber lag und deren beide Zacken die Flamme berührten. Sie waren glühend rot, und Lafarge hatte kaum Zweifel am beabsichtigten Verwendungszweck im allgemeinen, wenn nicht sogar im speziellen. Sämtliche Nerven seines Körpers schienen sich bei dieser schrecklichen Ahnung zusammenzuziehen und zu verkrampfen. Seine Blicke flogen gehetzt durch den abgedunkelten Raum, und er drehte den Kopf, so gut es ging, in sämtliche Richtungen, um zu sehen … zu sehen, wer immer da sein mochte.
Modesty Blaise? Himmel nochmal, sie war nicht mit einem Spiritusbrenner und einer Vorlegegabel ausgerüstet zu ihm gekommen! Alles, was sie bei sich hatte, war eine kleine Handtasche! Also wer …? Und wie lange war er bewußtlos gewesen? Wann würde … jemand auftauchen? Und was würde
dann … geschehen?
Er blieb eine volle Minute lang mit erhobenem Kopf und verkrampften Muskeln in dieser unbeweglichen Lage, magnetisch angezogen von der blauen Flamme des Brenners und dem rotglühenden Metall der Gabel, ehe sein Kopf schließlich zurückfiel und sein Körper von einem Schüttelfrost erfaßt wurde. Die Zeit verging. Zwei Minuten … fünf. Er war allein im Zimmer, und in der ganzen Wohnung war nicht das geringste Geräusch zu vernehmen. Er schloß die Augen, lauschte, versuchte, rational zu denken und wieder ein gewisses Maß an Kontrolle über seine chaotischen und schreckgepeinigten Gedanken zu erlangen. Noch immer
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