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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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immer erreichbar, sie beantworten Telefonate oder E-Mails sogar sonntags, nachts oder im Aufwachraum der Intensivstation. Wenn sich Kundenbetreuer verleugnen lassen, dann tun sie das, weil sie einen triftigen Grund haben. Nachdem ich drei erfolglose Anrufe getätigt hatte, wandte ich mich gleich zwei Etagen höher und rief die Geschäftsführungen an. Dort wurde mir gesagt, man werde sich um Klärung bemühen und sich wieder melden.
    Jeder Geschäftsführer wusste, worum es ging, das war deutlich zu merken. Die Sabotage unserer Anzeigenkampagne war das Gesprächsthema Nummer eins in der Branche. Ein Novum. Ein Skandal. Eine echte Nachricht, in der die Medien die Hauptrolle spielten. Es ging darum, was den Zeitungen wichtiger war: Der Anzeigenkunde oder die Reichweite? Der Geschäftspartner oder die Sensation? Noch letzte Woche hätte ich diese Frage entrüstet zurückgewiesen. Hätte gesagt, die Antwort liege ja wohl auf der Hand. Hätte nicht einmal im Traum daran gezweifelt, dass der Anzeigenkunde für das Überleben der Presse so wichtig war, dass er gehegt und gepflegt würde. Heute allerdings … Zum ersten Mal an diesem Tag hatte ich den Eindruck, die ganze Sachlage kühl und analytisch betrachten zu können. Und was ich da sah, gefiel mir ganz und gar nicht.
    Ich kürze hier mal ab, um die alten Wunden nicht wieder in vollem Umfang aufzureißen: Niemand rief zurück. Damit war das Todesurteil über unsere Werbekampagne gesprochen. Schlimmer: Sie starb nicht einfach einen bedauernswerten, aber leisen Tod, sondern krepierte öffentlich und unter lautem Geheul. Sie würde im Sterben noch andere mit ins Verderben reißen. Und ich würde mit anSicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu den Verlusten gehören.
    Ich machte Feierabend irgendwann nach neun Uhr abends, nachdem alle anderen die Firma bereits verlassen hatten. Ganz allein ging ich durch die dunklen Flure, an der leeren Pförtnerloge vorbei und durch die Automatiktür hinaus auf die Straße. Die Luft war sommerlich warm und seidenweich, aber das nahm ich nur am Rande wahr. Wie in Trance ging ich die Straße entlang, lief in Gedanken versunken an der Straßenbahnhaltestelle vorbei und einfach weiter. Es war nach elf, als ich zu Hause ankam.
    Mein Koffer stand noch genau so in meinem Zimmer, wie ich ihn vor unendlich lang scheinender Zeit abgestellt hatte. Die Küche hatte inzwischen allerdings eine deutliche Veränderung durchgemacht. Während früher am Tag nur einige wenige schmutzige Geschirrteile in der Spüle gestanden hatten, sah es jetzt aus, als hätte jemand den gesamten Vorrat an Geschirr aus den Schränken geholt, mit fettiger Sauce übergossen und dann schief aufeinandergestapelt. Offenbar hatte hier eine Fete stattgefunden. Und ich konnte mir verdammt gut vorstellen, was man gefeiert hatte.
    Ich öffnete den Kühlschrank, fand aber nichts Essbares. Dabei hatte ich, wie ich jetzt feststellte, brüllenden Hunger. Den ganzen Tag hatte ich gearbeitet, nicht mal einen Gedanken hatte ich ans Essen verschwendet, und jetzt kam ich fast um vor Schmacht, fand aber nicht einmal mein Müsli oder ein Stück Obst. Ich hatte definitiv keine Lust, noch mal wegzugehen, also rief ich das Pizza-Taxi an und bestellte eine Salami-Pizza extra scharf und zwei Flaschen Bier.
    Die Pizza wurde geliefert von – Thomas!
    »Ich stand gerade vor eurer Tür, als der Pizzadienst kam.«
    Ich nahm ihm den Karton ab, drehte mich wortlos umund ging in die Küche. Thomas folgte mir, öffnete beide Flaschen Bier und stellte eine vor mich hin. Mit der anderen prostete er mir zu.
    Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand. »Raus!«
    »Leo, ich …«
    »Du hast ihm die Infos gegeben, richtig? Du hast dich als Fensterputzer in mein Büro geschlichen, die Datei ausgedruckt, und damit hattest du alles. Erscheinungsdaten, Kontaktdaten, Anzeigenmotive …«
    Meine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Nein, ich …«
    Ich lachte bitter und gurgelnd, weil mir inzwischen der Rotz aus der Nase und die Tränen aus den Augen liefen. »Ach, und wer war es dann? Der Heilige Geist, der den neuen Messias Daniel mit ein paar himmlischen Tricks unterstützt?«
    Thomas öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
    »Das wäre deine Chance gewesen, Daniel von einer wirklich großen Dummheit abzuhalten. Nicht, weil du meine lächerlichen Nudeln haben wolltest, sondern weil du hättest verhindern können, dass dieses Arschloch mein Leben zerstört. Gerade war ich Philip nähergekommen und jetzt ist es eine

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