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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Herrschaft über das Leben seiner Mitmenschen zu übernehmen. Mein eigener Bruder, dem es furchtbar egal war, dass mein Arbeitsplatz mit dieser Aktion zum Teufel ging – und mein Lebensglück auch. Mir stiegen Tränen der Wut in die Augen. Ab sofort war ich Einzelkind. Mein Bruder war für mich gestorben und ich würde seine Existenz bis an mein Lebensende vollkommen ignorieren.
    Daniel, du Arschloch, dachte ich, und das war ungewöhnlich, denn normalerweise benutzte ich Schimpfwörter nicht einmal in Gedanken, geschweige denn, dass ich sie aussprach. Jetzt allerdings meinte ich, dass das auch mal gesagt werden müsste, also schlug ich mit den flachen Händen auf meine Schreibtischunterlage und brüllte: »Du Arschloch!«
    Die Tür ging auf und Frau Wildenroth blickte sich gehetzt um. »Ist alles in Ordnung?«
    Ich musste fast lachen, beherrschte mich aber gerade noch. Sie hätte sonst sicher den psychiatrischen Notdienstverständigt. »Ja, danke. Alles in Ordnung. Ich musste nur gerade etwas, äh, Dampf ablassen.«
    Ihr Busen zuckte. Aha, sie war also nicht mehr im Sorge-Modus sondern wieder im Normalbetrieb angekommen: Missfallen. Sie nickte mir zu und schloss die Tür.
    Ich schrieb einen Brief an den Vorgesetzten des illoyalen Anzeigenleiters, kündigte an, unsere Anzeigenbuchung für den Rest des Jahres zu stornieren und eine Schadensersatzklage anzustrengen, wenn mir nicht ein angemessener Vorschlag zur Schadensbegrenzung gemacht würde, und ging zu Philip.
    Er verschanzte sich hinter seinem Schreibtisch, stand nicht auf, kam nicht zu mir, vermied jeden Körperkontakt, als ich ihm den Brief hinlegte. Er las ihn aufmerksam, unterschrieb und reichte ihn mir zurück.
    »Was stellen wir uns unter einer angemessenen Schadensbegrenzung vor?«, fragte er.
    Natürlich hatte ich mir darüber auch schon Gedanken gemacht, denn wenn man etwas forderte, sollte man wissen, was man wollte.
    »Vollständiger Kostenerlass für diese Anzeige und die Übernahme der Kosten für die Entwicklung einer neuen Kampagne, denn diese Motive hier sind verbrannt. Die neuen Anzeigenmotive schalten wir nur gegen einen fünfzigprozentigen Rabatt auf alle weiteren Anzeigen in diesem Jahr.«
    Er nickte.
    »Außerdem einen mindestens zweiseitigen redaktionellen Beitrag über Siebendt und die Qualität des Fleisches, die nachhaltige Jagd, die selbst auferlegten Richtlinien bezüglich ökologischer und sozialer Kriterien, die jeder Lieferant erfüllen muss, der an uns liefern will. Zu guter Letzt eine Zusicherung über das Verhalten bei ähnlichen Ansinnen.Wenn es jemanden gibt, der eine Anzeige schalten will, die uns schädigt, wird man uns sofort darüber in Kenntnis setzen und uns die Daten des entsprechenden Auftraggebers mitteilen. Eine Veröffentlichung einer wie auch immer gegen uns gerichteten Anzeige kommt natürlich nicht infrage.«
    Philip nickte wieder, diesmal anerkennend, aber noch immer ohne Lächeln oder auch nur das kleinste bisschen Wärme. »Das klingt nach einer guten Strategie. Aber wird es reichen?«
    Ich zuckte mit den Schultern, spürte aber, dass die Antwort ihm nicht genügte. »Das wird die Zeit zeigen, aber ich bin optimistisch. Die Leser dieser Zeitschrift sind überdurchschnittlich gebildet und eher analytisch als emotional. Sie wissen, dass ihr Fleisch von toten Tieren stammt, und werden nicht aufhören, Fleisch zu essen, nur weil sie eine tote Antilope gesehen haben. Es war halt ein Glück, dass die Gegenanzeige in diesem Magazin stand und nicht in einem Blatt, das auf Sensationen oder Emotionen setzt und eine entsprechende Leserschaft anspricht.«
    Noch während ich die Wörter aussprach, lief mir ein eisiger Schauer über den Rücken. Was, wenn Hot Spott die Gegenanzeige überall dort platziert hatte, wo auch unsere Anzeige stand? Aber das war undenkbar. Nicht jeder Werbekundenbetreuer war so fertig mit seinem Job wie der Typ, mit dem ich eben telefoniert hatte …
    Philip hatte offenbar den gleichen Gedanken gehabt, denn er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und klopfte nervös mit den Fingern auf seine Schreibtischunterlage.
    »Ich will keine weiteren Überraschungen mehr erleben«, sagte er, nickte mir abschließend zu und widmete sich wieder den Papieren, in denen er gelesen hatte, als ich hereinkam. Ich rannte förmlich hinaus.
    Die folgenden Telefongespräche waren aufschlussreich, obwohl ich praktisch niemanden zu fassen bekam. Das allein war Aussage genug, denn Kundenbetreuer für Werbekunden sind

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