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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht einmal an, um mich zusammenzustauchen oder um mir zu sagen, was ich als Nächstes tun sollte. Er war auch nicht erreichbar, ging einfach nicht an sein Handy, drückte vermutlich das Gespräch jedes Mal weg, wenn meine Nummer auf dem Display erschien.
    Ich fand dieses Verhalten ungerecht und unprofessionell und wurde langsam sauer. Das Mittagessen in der Kantine und den damit verbundenen Spießrutenlauf ersparte ich mir, aber da ich am Morgen auch nicht daran gedacht hatte, mir etwas zu essen mitzunehmen, war ich um drei Uhr hungrig und genervt. Was war das für eine Art, mich völlig zu ignorieren? Ich machte das einzig Sinvolle: Feierabend.
    Das Wetter war sommerlich warm aber nicht heiß, ein angenehmer Wind strich sanft durch die Straßen und nach dem Regenschauer vom Vormittag roch die Luft sauber undfrisch. Ich beschloss, zu Fuß in die Innenstadt oder zum Rhein zu gehen, etwas zu essen, mir vielleicht sogar zusätzlich noch ein Eis zu gönnen und über meine Situation nachzudenken. Über mich, meinen Job, meine Mutter, die offenbar eine Affäre mit meinem faulen, kiffenden Mitbewohner hatte, und über meinen Bruder Daniel und wie ich ihn foltern könnte. Langsam, schmerzvoll, endgültig. Das klang nach einem guten Plan und so machte ich mich auf den Weg. Mein Handy ließ ich eingeschaltet, denn für den Fall, dass mein Chef sich doch noch eines Besseren besann und den Kontakt zu mir wieder aufnähme, wollte ich erreichbar sein.
    Das Klingeln meines Handys erwischte mich mit vollem Mund und fettigen Fingern, aber es gelang mir, die türkische Pizza abzulegen, die rechte Hand an der Serviette zu säubern und das Telefon hervorzuziehen. Eine Mail. Von Hot Spott. Ein Flashmob an der Rheinpromenade. In einer Stunde. Die Presse würde kommen und man würde eine Erklärung zu einer Anzeigenkampagne abgeben, die aktuell in allen namhaften Magazinen lief.
    Ich war einigermaßen fassungslos, dass Daniel mir eine Ankündigung für diese Aktion schickte, aber dann fiel mir wieder ein, dass ich mich ja mit einer neuen E-Mail-Adresse bei Hot Spott angemeldet und eine Weiterleitung auf mein Handy eingerichtet hatte. Das hatte ich in der Aufregung der letzten Tage ganz vergessen. Ich sah auf die Uhr. In etwas weniger als einer Stunde würde mein Bruder vor die Presse treten und über seine Anzeigensabotage sprechen. Wie lange konnte es dann dauern, bis die Leute kapierten, dass der oberste Saboteur der Bruder der PR-Managerin von Siebendt war, die die Kampagne entworfen und durchgeführt hatte?
    Ich musste meine Strafe für Daniel überdenken. Ignorierenkam jetzt nicht mehr infrage, ich musste ihn sprechen. Dringend.
    Ich rief Daniel an und bemühte mich um einen lässigen Tonfall. »Hi, wir haben uns ja noch gar nicht gesehen nach meiner Rückkehr. Wie geht es und was machst du so?«
    Daniel zögerte, konnte sich vermutlich nicht erklären, warum ich ihn nicht anbrüllte oder verfluchte, sondern freundlich nach seinem Befinden erkundigte. Seine Stimme klang dann auch zurückhaltend und vorsichtig. »Och, nichts Besonderes. Wo bist du?«
    Haha, lieber Bruder, als ob ich dir das auf die Nase binden würde. »Rate mal«, sagte ich. Damit hatte ich nichts verraten und nicht gelogen.
    »Wie geht es denn so?«, fragte Daniel.
    »Ein bisschen aufregend hier im Moment, aber sonst alles prima.«
    Ich interpretierte das Schweigen am anderen Ende als Ausdruck seiner wachsenden Verwirrung. Ich stellte mir seinen Gesichtsausdruck vor und hätte gegrinst, wenn mir mein Humor nicht in den letzten achtundvierzig Stunden abhandengekommen wäre.
    »Sag mal, Brüderchen, wäre es wohl möglich, dass du die Information über unsere Verwandtschaft aus der Pressekonferenz gleich heraushalten könntest?«, fragte ich zuckersüß.
    Daniel schnappte nach Luft. »Wie …«
    »Es käme bei meinem Boss gerade nicht gut an, wenn er erführe, dass mein eigener Bruder seine Firma kaputt macht.«
    Eine Sekunde, zwei, drei, vier … Das Schweigen dauerte. Dann: »Leo, ich wusste nicht, dass du diesen Typen liebst.«
    »Hätte das einen Unterschied gemacht?«
    »Äh …«
    »Danke, das genügt als Antwort.«
    »Außerdem hatte ich nie vor, unsere Verwandtschaft zum Thema zu machen, Leo. Im Gegenteil. Ich wollte dich immer schützen. Deshalb ja mein Pseudonym: Daniel Trust. Ich gebe dir mein Ehrenwort …«
    »Das Ehrenwort eines Finanzjongleurs oder das Ehrenwort eines Bruders, der das Leben seiner Schwester zerstört?«
    Na gut, das hatte jetzt nicht

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