Möhrchenprinz - Roman
verständnislos an. »Willst du mehr Geld?«
»Nein. Ich möchte weder für dich noch für die Firma Siebendt arbeiten, das ist alles.«
Philip schüttelte ärgerlich den Kopf. »Du bist also auch so ein fanatischer Ökofreak wie dein Bruder.«
»Nein, Philip, auch das ist nicht der Grund. Ich hatte kein Problem damit, in einer Fleischgroßhandlung zu arbeiten und ich hätte es auch in Zukunft nicht.«
Die Verwirrung in seinen Zügen nahm zu. »Aber … warum denn dann nicht?«
Fast hätte ich gelacht. Er kapierte es wirklich nicht. Okay, ich war bereit, es ihm zu erklären. »Du hast fast zwei Stunden auf mich eingeredet, aber du hast dich mit keinem Wort für das entschuldigt, was passiert ist.«
»Aber …« Er schluckte, räusperte sich. »Gut, du hast recht. Entschuldige bitte.«
»Nun …«
Da ich immer noch zögerte, wurde er offenbar ungeduldig, wie die steile Falte zwischen seinen Augenbrauen zeigte. »Es tut mir leid, wie es gelaufen ist, aber was hätte ich denn tun sollen?«
»Zuhören«, sagte ich freundlich. »Du hättest mir zuhören sollen. Ich hätte dir gern erklärt, dass ich unschuldig bin. Ich hätte dir gern eine ganze Menge Dinge erzählt darüber, wie mein Bruder in mein Leben eingedrungen ist und mich mit seinen Aktionen terrorisiert hat. Über meine panische Sorgfalt, bloß keine noch so kleine Information mit nach Hause zu nehmen, wo Daniel sie hätte finden können. Über meine Familie, die plötzlich von total normal zu komplett übergeschnappt mutiert ist. Über alles Möglichehätte ich gern mit dir geredet. Auch über die Frage, wie es mit uns weitergehen sollte nach unserer … ja, was eigentlich? Affäre?«
Philip wischte meine Worte mit einer Geste weg. »Ich stand unter Zugzwang, ich musste …«
»Nein«, sagte ich. »Als Allererstes hättest du mir die Chance zur Verteidigung geben müssen. Mir ist es völlig egal, ob du tote Tiere oder Möhren verkaufst. Aber du hast mich ohne jede Anhörung verurteilt. Und das ist mir nicht egal. Das ist eine Frage des Charakters.«
Er warf die Serviette auf den Tisch und hob die Schultern. »Gut, wenn du immer noch beleidigt sein willst …«
»Ich bin nicht beleidigt«, sagte ich mit einem fröhlichen Lächeln, das aus tiefstem Herzen kam. »Ich bin total erleichtert. Dein Auftritt heute Abend hat mir klargemacht, wie verblendet ich war, als ich glaubte, dich zu lieben.«
Philip schnappte nach Luft.
»Ich wünsche dir viel Glück, Philip. Das meine ich ernst, denn Leute wie du, die Menschen benutzen und dann wegwerfen, brauchen verdammt viel Glück, wenn sie langfristig Erfolg haben wollen.«
Ich stand auf, nickte dem Kellner auf dem Weg nach draußen freundlich zu und verließ das Restaurant hoch erhobenen Hauptes.
Ein gelungener Abgang, gratulierte ich mir selbst. Selbstbewusst und cool. Leider hatte in dieser Inszenierung der Besuch der Toilette keinen Platz mehr gehabt, daher musste ich schnellstens einen anderen Ort finden, an dem ich meinem Bedürfnis nachgeben konnte. In dem Weinbistro, in dem ich zu diesem Zweck landete, trank ich zur Feier des Tages noch zwei Gläser Sekt. Ziemlich spät am Abend ließ ich mich im Taxi in mein selbst gewähltes Exil zurückbringen. Ein würdiger Abschluss für alles, was mit dem Namen Siebendt verbunden gewesen war.
28
Ich ließ noch einige Tage ins Land ziehen, in denen ich dem Garten meiner Eltern den letzten Schliff gab und den Umzug in meine erste eigene Wohnung vorbereitete, und begann erst in der darauffolgenden Woche wieder, Bewerbungen zu schreiben. Und plötzlich kamen keine standardisierten Absagen, sondern Einladungen. Bevor ich allerdings eine dieser Einladungen wahrnehmen konnte, stand noch das aufregendste Ereignis dieses zu Ende gehenden Sommers an: Svenjas Rückkehr.
»Ich bin so gespannt, ich kann es gar nicht mehr abwarten.«
Ich seufzte. Genau diesen Spruch hatte Daniel jetzt schon mindestens siebzehnmal von sich gegeben.
»Dann hilf mir, das lenkt dich ab.«
Ich reichte ihm den Schraubenzieher herunter und prüfte die Festigkeit der Gardinenstange. Daran könnte man einen Ochsen aufhängen, dabei musste das Ding nur einen leichten Vorhang tragen. Ich gab Daniel Anweisungen, wie er mir den Stoff anreichen sollte, und er verhedderte sich nur zweimal. Beim dritten Versuch klappte es. Ich ließ den letzten Vorhang vor die bodentiefen Fenster des Penthouse gleiten.
»Gefällt es dir?«, fragte ich.
Geistesabwesend murmelte Daniel »Ja, ja«, während er wieder
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