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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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starrte sie an. Sie hatte niemals auch nur ein Wort über die Qualität der Lebensmittel verloren, die sie mir regelmäßig aus dem Kühlschrank klaute.
    »Ich bin übrigens Daniel, Leos Bruder«, sagte Daniel. »Freut mich, euch kennenzulernen.«
    Jetzt starrte ich Daniel an. Er hatte bis vor Kurzem nicht einmal meine Wohnung gesehen und jetzt schloss er gleich Freundschaft mit den zwei nichtsnutzigsten Menschen meiner Umgebung.
    Mike nickte Daniel zu, Conny schenkte ihm ein körniges Lächeln. »Hi, ich bin Conny. Gut, dass du darauf achtest, was du kaufst. Bio und so.«
    Ich ließ mich auf meinen Stuhl sinken und legte den Kopf auf den Tisch. Mich brauchte hier offenbar niemand mehr.
    »Boss, ich brauche Redezeit«, kündigte Daniel beim Teambriefing am folgenden Montag an.
    Jeff Boskurt, Abteilungsleiter und aus naheliegenden Gründen von seinem Team Boss genannt, nickte knapp und ging dann zu den Themen des Tages über: Eurokrise, drohender Stromausfall für ganz Europa und dessen mögliche Folgen für den DAX, die Börse in Tokyo und den Warenterminmarkt in Chicago. Und das waren nur die Stichworte, die ich verstanden und behalten hatte, als Daniel mir von diesem Gespräch erzählte.
    Während die Kollegen den in Stahl und Glas gehaltenen Besprechungsraum mit Blick über die Düsseldorfer Skyline verließen, machte der Boss es sich auf seinem Platz am Kopfende des Tisches etwas bequemer.
    »Ich finde, wir sollten unsere Flugreisen CO 2 -frei stellen.«
    Der Boss runzelte die Stirn. Da seine Stirn von störendem Haarwuchs unbeeinträchtigt bis in den Nacken reichte, war dieses Schauspiel durchaus eindrucksvoll.
    »Sorry?«
    Daniels Vorgesetzter lebte zwar schon einige Jahre in Deutschland, weigerte sich aber, wann immer möglich, deutsch zu sprechen. Und in der Welt der Megafinanzen war das praktisch immer möglich. Besonders gern griff er auf seine Muttersprache zurück, wenn ein Thema ihn entweder aufregte oder verunsicherte.
    »Wir alle fliegen Tausende von Kilometern durch die Weltgeschichte. Das gehört zu unserem Job und ist ja auch in Ordnung, aber es belastet das Klima.«
    Der Boss blickte Daniel reglos an.
    »Dass gerade die Flugreisen besonders schädlich sind, wird von allen Klimaexperten einhellig bestätigt. Deshalb sollte man, wenn man schon auf die Flüge selbst nicht verzichten kann, wenigstens einen Ausgleich schaffen. Es gibt einen Verein, der diesen Ausgleich schafft. Er heißt Atmosfair und ist seriös, ich habe das gecheckt.«
    Daniel legte einen Computerausdruck auf den Tisch.
    »Es ist ganz einfach. Man gibt die Strecken an, die man fliegt, und zahlt für den Ausgleich. Alles Weitere übernimmt Atmos-fair.«
    »Was machen die?«
    »Sie fördern Klimaschutzprojekte. Stromerzeugung aus Paranussschalen in Bolivien, aus Abwasser in Thailand, aus Ernteresten in Indien. Sie fördern Energieeffizienz und Windenergie oder bezahlen Umweltbildung an Schulen …«
    Der Boss schwieg, während er sich die Nasenwurzel massierte. »Wozu?«, fragte er dann.
    Daniel zuckte mit den Schultern. »Es wäre fair.«
    »Es kostet Geld.«
    »Der Stern-Report hat bewiesen, dass die Vermeidung des Klimawandels ökonomisch günstiger ist als …«
    »Ich kenne Nicolas Stern persönlich und halte ihn für einen netten Typen, aber sein Bericht ist für mich irrelevant.«
    »Der Mann war Chefökonom der Weltbank und arbeitet jetzt als wichtigster Berater für die britische Regierung und …«
    »Ich weiß.«
    Daniel nickte.
    »Trotzdem beschäftigen wir uns hier mit Geldanlage und nicht mit Klimapolitik.«
    »Wir sind Menschen, die dazu beitragen, die Erde unbewohnbarzu machen«, hielt Daniel dagegen. »Und es gibt einen Weg, unsere Fehler zumindest teilweise wiedergutzumachen.«
    »Das kostet Geld.«
    »Aber es ist letzten Endes billiger, den Klimawandel zu verhindern, als nachher mit den katastrophalen Folgen zu leben«, wiederholte Daniel.
    »Das gilt nur, wenn es alle machen.«
    »Die anderen warten darauf, dass jemand anfängt.«
    »Dieser Jemand werden nicht wir sein.«
    »Boss, es wäre …«
    »Danke für die Anregung, Daniel, aber im Moment lautet die Antwort: Nein.«
    Daniel ging zurück an seinen Arbeitsplatz und zog den Reisekosten-Ordner aus dem Schrank. Die nächste halbe Stunde verbrachte er mit der Berechnung der Menge an CO 2 , die er allein in diesem Jahr bereits durch Flugreisen in die Atmosphäre geblasen hatte. Diese Zahl notierte er, um sie später bei Atmos-fair anzumelden. Dann verfasste er ein

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