Möhrchenprinz - Roman
Memo an alle Kollegen.
»Hast du was geraucht?«, fragte Penny in der Mittagspause, die sie auf Daniels Anregung im Asia-Imbiss verbrachten. Die kleine, dickliche Kollegin verdankte ihren Spitznamen der unerfreulichen Tatsache, dass sie in dem Trader-Team, das sie mit einem Kollegen bildete, immer miserable Renditen erzielte. Da ihrem männlichen Gegenpart große Deals gelangen, wurde er Money genannt. Gemeinsam ergab das einen Spitznamen, den sich Daniel ausgedacht hatte und der das Team inzwischen seit Jahren begleitete – zur Freude des einen, zum Leid der anderen und zur Belustigung der übrigen Kollegen.
»Wir können es uns leisten«, hielt Daniel dagegen.
»Ja, klar«, ätzte Penny. »Es gibt viele Dinge, für die wirunser Geld verschleudern könnten. Bloß ist am Ende dann nichts mehr übrig.«
»Wir reden über einen Betrag von ein paar Hundert Euro pro Jahr«, sagte Daniel und nahm sein vegetarisches Curry in Empfang. »Das sind noch nicht einmal Peanuts, das sind nur Krümel von Peanuts.«
»Es sind ein paar Hundert Euro herausgeschmissen an irgendwelche Ökos, die sich an Bäume ketten, weil sie lieber Borkenkäfer züchten als Geld für die Entwicklungshilfe zu verdienen.«
»Wir verdienen Geld für die Entwicklungshilfe?«, fragte Money mit einem Augenzwinkern. Er nutzte jede Gelegenheit, seine Teamkollegin zu trietzen, weshalb die gesamte Abteilung davon überzeugt war, dass er sie heimlich liebte.
»Ich meine ja nur«, entgegnete Penny. Ihre Wangen glühten vom Wasabi, von dem sie wie immer zu viel nahm. »Die armen Länder haben jetzt schon kein Geld. Was soll daran besser werden, wenn wir auch keins mehr haben?«
»Aber das ist ja der Witz«, sagte Daniel. »Das Geld geht in Länder, die unserem Wohlstandsmodell folgen wollen und wird dort eingesetzt, damit sie in ihrer Entwicklung nicht dieselben Fehler begehen wie wir.«
»Du weißt doch, Penny, dein Geld ist nicht weg, es ist nur bei jemand anderem.«
Mit diesem Spruch neckte Money seine Kollegin bei jedem Verlust, den sie verbuchen musste.
Penny warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Trotzdem verstehe ich nicht, wie gerade Dago auf so eine dämliche Idee kommen kann«, nuschelte sie mit vollem Mund.
Daniels Spitzname Dagobert erfüllte ihn mit großem Stolz, auch wenn er darum gebeten hatte, den ›Bert‹ doch bitte wegzulassen. »Diese Ökospinner haben dich doch bisher immer nur aufgeregt.«
»Da hatte ich auch noch keine Ahnung.«
»Glaubst du etwa, dass es der Welt irgendetwas hilft, wenn du einem dubiosen Verein Geld in den Rachen wirfst?«
»Der Verein ist seriös. Und ja, ich glaube, dass es der Welt hilft, wenn wir für unsere Handlungen die Verantwortung übernehmen.«
Money und Penny starrten Daniel wortlos an.
»Ich jedenfalls werde das Geld für die CO 2 -Kompensation aus meiner Tasche zahlen«, erklärte Daniel. »Wer will die Internetadresse von Atmos-fair haben?«
Money winkte der Bedienung. »Bringen Sie dem Herrn bitte einen starken Kaffee, damit er in die Wirklichkeit zurückfindet.«
»Danke, keinen Kaffee. Aber wenn Sie biologisch angebauten grünen Tee hätten …?«
Das folgende Schweigen wurde nur von Pennys Husten unterbrochen, die sich am letzten Sushi verschluckte.
Zwei Wochen hörte und sah ich nichts von Daniel und hielt das für ein gutes Zeichen. Wie sehr ich mich getäuscht hatte, stellte ich fest, als der Geburtstag unserer Mutter nahte.
»Kannst du mich mitnehmen?«, fragte ich ihn am Telefon, nachdem er mir bestätigt hatte, dass er in der Stadt sei und auch zu Feier komme.
»Mitnehmen? Wie meinst du das?«
»Im Auto, Brüderchen. Ich komme frühestens um sechs aus dem Büro …«
»Ich hab’s verkauft.«
Im ersten Moment kapierte ich gar nicht, was er meinte, dann glaubte ich, er wollte mich veräppeln. »Was hast du verkauft?«
»Ich habe mein Auto verkauft. Ich lebe mitten in der Stadt, ich brauche gar kein Auto.«
Das stimmte. Genauso hatte ich es ihm auch Jahre lang immer wieder erklärt, aber das hatte Daniel nicht davon abgehalten, sich jährlich ein neues, teures Spielzeug in die Tiefgarage zu stellen. Es gehörte einfach zu seiner Vorstellung von Freiheit, sich jederzeit in sein Auto setzen und überall hinfahren zu können. Auch wenn er zu dieser Art von Freiheit zunächst eine Mindestmenge Freizeit benötigt hätte, die er irgendwo hätte verbringen können. Schon allein daran hatte es in den letzten Jahren gehapert, sodass der Wertverlust am Tag des Verkaufs jedesmal
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