Möhrchenprinz - Roman
verziehen.
»Du hättest doch sicher einen anderen Job finden können, oder?«
Mein Grinsen erstarb. Ich sagte lieber nicht, dass ich die Tiere opferte, weil ich den Chef haben wollte, denn meineSchwärmerei für PS wollte ich auf jeden Fall geheim halten. Zumal das ja auch Quatsch war. Wildfleisch war schon lange kein Geheimtipp mehr auf dem Markt und es wurde auf jeden Fall importiert, ob nun mit meiner Hilfe oder ohne sie.
»Warum sagst du nichts?«, fragte mein Bruder. »Insgeheim bist du meiner Meinung, richtig?«
Ich brummte genervt, weil diese Feststellung eins von Daniels Lieblingsargumenten in jeder Diskussion war. Eigentlich waren sowieso alle seiner Meinung, sie trauten sich nur nicht, es zuzugeben. Oder waren sich selbst noch nicht darüber im Klaren.
»Na also, habe ich es mir doch gedacht«, kommentierte Daniel mein Brummen. »Dann sei konsequent und kündige.«
»Ich habe weder zugestimmt noch bin ich deiner Meinung noch kann ich es mir leisten, den Job zu kündigen. Ich verdiene dort das Geld, von dem ich lebe.«
Keine Frage, mein Tonfall klang zickig, was sicher daran lag, dass Daniels plötzliche Fokussierung auf meinen Arbeitgeber sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf auslöste. Bei Daniels Radikalisierungstempo würde er ab morgen täglich nur mit einem Antilopenfell bekleidet vor der Siebendt GmbH demonstrieren, wenn er sich einmal auf das Thema eingeschossen hatte.
»Geld, Geld, da haben wir es wieder. Für Geld werfen die Leute all ihre Moralvorstellungen über Bord.«
Das sagte mein Bruder, der sich zwar aktuell redlich bemühte, Spargel zu schälen, aber bis vor wenigen Tagen selbst ein nicht unerheblicher Teil der institutionellen Unmoral war, die unter anderem für die Finanzkrisen in Südamerika, Asien und Südeuropa verantwortlich war und ganze Gesellschaften an den Rand des Ruins getrieben hatte und weiterhin treiben würde.
»Du kannst dir dein plötzlich erwachtes Gewissen natürlich leisten«, erwiderte ich also spöttisch, »nachdem du dir durch deine Spekulationen ein nettes finanzielles Polster ergaunert hast. Wie viel Kohle hast du auf dem Konto? Eine Million? Zwei?«
Ich drehte mich um und wir starrten uns in unserer kleinen Küche aufgebracht an. Daniel war von Spargelschalen umgeben, selbst auf seiner Schulter lag eine. Keine Ahnung, wie die da hingekommen war.
Daniel grinste. »Sweetie, man nennt mich Dagobert.«
Ich wusste zwar, dass er die Kohle säckeweise gescheffelt hatte, aber aus studentischer Sicht sind schon zwei Millionen eine Menge Geld. Ich wurde also blass und fragte heiser: »Zehn?«
Er zuckte mit den Schultern. Aha, so genau wollte er es lieber nicht sagen. Vermutlich hatte er zwanzig Millionen auf dem Konto – oder besser gesagt in irgendwelchen Papieren stecken, die rasant an Wert verloren. Oder gewannen? Weiß der Teufel, ob es sich bei seinem Vermögen um realisierte Gewinne oder veränderliche Buchwerte handelte. Vielleicht war mein Bruder gestern noch Millionär gewesen und morgen schon Bettler. Oder umgekehrt. Ich schüttelte den Kopf.
»Egal. Ich habe jedenfalls einen Kontostand von ungefähr dreitausendvierhundert Euro, von denen ich die Kaution für eine Wohnung bezahlen und diese Wohnung einrichten möchte. Wenn dann noch etwas übrig bleibt, wäre ich glatt bereit, in Urlaub zu fahren. Ein sorgenfreies Leben bietet dieses Guthaben allerdings leider nicht und deshalb gehe ich weiter bei Siebendt arbeiten.«
»Ich höre mich mal nach einem anderen Job für dich um«, sagte Daniel in diesem speziellen »Ich-mach-das-schon,-Kleines«-Tonfall, den ich noch nie hatte leiden können. Ich warf ihm eine Tomate an den Kopf und bekam eine Handvoll Spargelschalen in den Nacken. Lachend floh ichzum Wasserhahn, den ich voll aufdrehte. Mit dem Daumen am Hahn dirigierte ich den Strahl durch die Küche und spritzte den schreienden Daniel nass. Der Feigling floh unter den Tisch, wodurch der Wasserstrahl den Mann erwischte, der plötzlich in der Tür aufgetaucht war.
Wo kam der Typ auf einmal her?
Wer war das überhaupt?
Und warum grinste er von einem Ohr zum anderen, während der Che Guevara auf seinem nassen T-Shirt aussah wie eine Wasserleiche?
»Da sitzt der Held, der sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, um gegen den Klimawandel zu demonstrieren, unter dem Tisch, weil er wasserscheu ist?«, fragte der Kerl an der Tür.
Erst jetzt nahm ich die Hand vom Wasserkran und drehte den Hahn zu.
Erst jetzt bemerkte Daniel den Besucher.
Erst einmal
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