Möhrchenprinz - Roman
Stufen am Ufer gesessen, den Gitarrenspielern zugehört und uns mal wieder darüber amüsiert, dass dort grauhaarige Ehepaare neben Hippies neben japanischen Touristen neben Börsengurus neben pubertierenden Schulkindern saßen. Die Obdachlosen saßen nicht dabei, sie sammelten das Leergut ein, das die meisten Stufenhocker ihnen freiwillig und gern überließen. Ein Überlebensmodell so ganz nach Daniels neuestem Geschmack.
»Guten Morgen«, erwiderte ich wenig eloquent auf die Begrüßung meines Chefs. Ich war unangenehm berührt durch sein überraschendes Auftauchen, denn für den Weg zur Arbeit und zurück trug ich inzwischen bequeme Schuhe, die ich erst im Büro gegen High Heels tauschte. Mein neu erstandenes Businesskostüm machte aber mit Leinensneakers an den Füßen keinen eleganten Eindruck.
»Du fährst mit mir nach Sydney zur FoodService Australia«, fuhr PS fort. Er spielte mit einem meiner Stifte und versuchte, das Gekritzel und Geschmiere auf meiner Schreibtischunterlage zu entziffern. Zum Glück war mir die Geschichte einer Freundin eine Lehre gewesen, die super Cartoons zeichnen konnte und eines Tages voller Wut ein hübsches Bild von der Hinrichtung ihres Chefs malte. Der kleine Spaß hatte sie den Job gekostet – ihr dann allerdings einen Vertrag als Illustratorin eingebracht, als der Chef voller Entrüstung seinem Bruder das Geschmiere zeigte und dieser ihr Talent erkannte. Ich besaß kein Zeichentalent und verzichtete konsequent auf private Notizen im beruflichen Umfeld, hatte also kein PS+LT mit einem Herzchen drum herum gemalt.
»Neben den Afrikanern mit ihren Springböcken, Zebras und Straußen sind ja auch die australischen Wildtiere inzwischen im Supermarkt angekommen. Känguru, Wasserbüffel, Emu und australisches Krokodil haben wir allerdings vernachlässigt, da gibt es einen badischen Importeur, der uns die Show verdirbt. Also fahren wir da runter und knüpfen die Kontakte direkt vor Ort.«
Ich spürte, wie meine Knie weich und die Ohren heiß wurden. »Und ich soll mitkommen?«
»Klar.« PS gab die Inspektion meiner Schreibtischkritzeleien auf und blickte mir direkt in die Augen. Die Knie wurden noch eine Spur weicher. »Erstens macht es auf die Aussis immer einen besonders guten Eindruck, wenn der Entscheider sich von einer schönen Frau begleiten lässt …«
Na super, dafür könnte er ja auch einen Escort-Service mieten …
»… und wenn diese Frau dann auch noch die verantwortliche PR-Managerin für die Produktlinie ist, kapieren sie schnell, wie ernst uns die Sache ist.«
Ich zog meine Jacke aus und warf einen Blick in den Tischkalender.
»Wann, sagtest du, ist diese Messe?« Ich angelte betont lässig nach einem Stift.
»Ende Juni.« Er nannte die genauen Daten.
»Okay, das geht.« Ich trug den Termin ein.
PS lachte mich aus. »Natürlich geht das, ich habe es schon in deinen OTP eingetragen. Keine Ahnung, wozu du dieses Ding hier noch liegen hast.«
Ich zuckte mit den Schultern. Der OTP, also online-task-planner im firmeninternen Netz, war natürlich Pflicht und nützlich war er auch, aber trotz aller Vorteile von digitalen Terminplanern pflegte ich einen unerklärlichen, sentimentalen Hang zu Kalendern und Notizbüchern aus Papier, den ich mir auch von meinem Chef nicht madig machen ließ.
»Aber ich mag deine Art, cool zu tun, auch wenn deine rot glühenden Ohren dich verraten. Kleiner Tipp: Wenn es wirklich wichtig wird, solltest du die Haare nicht hochstecken.«
Dabei strich er mir eine widerspenstige Strähne hinter das linke Ohr, ließ die Hand noch einen Moment auf meiner Schulter liegen und wandte sich zur Tür. Mein Herz stolperte ein paar Mal vor sich hin, bevor es seinen Rhythmus wiederfand. PS drehte sich noch einmal um.
»Ist es in Ordnung, wenn ich dich heute Abend zum Essen ausführe und wir dann schon mal über die Reise reden? Es gibt noch einiges vorzubereiten.«
Ich nickte.
»Ich hole dich um sechs hier ab, ja?«
»Klar.«
Erst als PS weg war fiel mir ein, dass sich mein Vater für heute Abend angekündigt hatte, um etwas mit Daniel und mir zu besprechen. Aber das ließ sich bestimmt verschieben.
Ich rief die neuesten Zahlen der Agentur ab, die unsere als Meinungsumfrage getarnte Kampagne im Internet betreute, und freute mich über das Ergebnis. In der Statistik konnte ich sehen, wie viele User sich durch ihre per Internetsuchfunktion dokumentierten Interessensgebiete als Teilnehmer qualifiziert hatten. Unglaublich, dass noch vor gar nicht
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