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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Schwester.«
    »Nein, Mama, Daniel ist eben nicht erwachsen. Er ist vollkommen durchgeknallt. Er hat seine Wohnung aufgegeben, seinen Job …«
    »Du hast das doch immer am lautesten kritisiert, Liebes. Das hat ihn sehr geschmerzt.«
    Mein Gott, von welchem Menschen redete meine Mutter? Von meinem Bruder? Den hat meine Kritik niemals auch nur ansatzweise erreicht, geschweige denn geschmerzt.
    »Warum soll immer ich schuld sein, wenn Daniel Mist baut?«, fragte ich erschöpft.
    »Daniel ist Daniel, das weißt du genau.«
    Das alte Argument, das keins war, aber jede Diskussion umgehend beendete. Er war eben so. Und ich war offenbar anders und darum war es meine Schuld. Ich seufzte.
    »Geht es ihm denn wieder gut?«, fragte meine Mutter mit ihrer Gluckenstimme.
    »Frag ihn doch am besten selbst.«
    »Seit du diese Arbeit hast, bist du wirklich zickig geworden, da hat Daniel schon recht.«
    Ich schnappte nach Luft.
    »Sei so lieb und bitte ihn, mich anzurufen. Ich komme auf seinem Telefon nicht durch, da ist nur die Mailbox. Mach’s gut, Liebes, und arbeite nicht so viel.«
    »Sag mal«, fragte Daniel am folgenden Freitagabend, als er in die Küche kam, eine Zeitschrift in der Hand, »ist das nicht der Laden, für den du arbeitest?«
    Er hielt die Fachzeitschrift für Gastronomie hoch, der PS ein Interview gegeben hatte. Das ganzseitige Foto von meinem Chef war besser als der Bravo-Starschnitt und verursachte mir sofort und auf der Stelle wieder einmal Herzklopfen. Er war nicht liiert, jedenfalls nicht offiziell, das hatte ich im Internet herausgefunden. Und ja, er gehörte zu jenen Menschen, deren Name in Klatschspalten auftauchte, wenn auch nicht in den Zeitschriften, die meine Mutter beim Friseur las. Aber die Magazine, die mit modernen Männern, Unternehmern oder Sport zu tun hatten, interessierten sich auch für Philip Steffen Siebendt.
    Ich nickte stolz.
    »Kannst du dich noch erinnern, dass du früher Kröten über die Straße getragen hast?«, fragte Daniel.
    Mein Lächeln verschwand.
    »Du hast mit den anderen Kindern an der Landstraße zwischen den Baggerseen jeden Abend im März und April die schleimigen Viecher aus den Eimern zwischen den Fangzäunen geholt, sie über die Straße getragen und sogar noch aufgeschrieben, wie viele Männchen und Weibchen es waren und aus welcher Richtung sie kamen.«
    »Und du hast dich genau darüber lustig gemacht«, erwiderte ich. »Was für einen Unterschied macht es, ob diese hässlichen Kröten platt gefahren werden oder nicht – davon kannst du dir nichts kaufen«, äffte ich meinen großen Bruder nach, der sich damals gerade entschlossen hatte, in der internationalen Finanzspekulation sein Lebensglück zu finden. Die Feststellung, dass man sich von etwas nichts kaufen könne, war damals das denkbar vernichtendste Urteil gewesen.
    »Und in der Igel-Auffangstation bei der ollen Becker hast du geholfen und …«
    »Daniel, komm zum Punkt oder halt die Klappe.«
    Eigentlich wollte ich gar nicht wissen, was er mir damitsagen wollte, denn ich hatte natürlich eine sehr genaue Ahnung, in welche Richtung die Diskussion ging.
    »Und jetzt verhökerst du Fleisch von Tieren, die du vor ein paar Jahren noch hättest adoptieren wollen.«
    Ich schnibbelte weiter Petersilie für Taboulé, meinen Lieblingssalat aus Couscous, Petersilie, Paprika, Tomaten und Zwiebeln.
    »Du kannst schon mal den Spargel schälen, während du deine neu entdeckten Lebensweisheiten zum Besten gibst«, forderte ich ihn auf. Er zerknüllte das Interview, in dem PS von der »neuen Fleischeslust« redete, mit demonstrativem Missfallen, warf es in den Papiermüll und setzte sich an den Küchentisch.
    »Meinst du nicht, dass es Blödsinn ist, erst die Kröten zu retten und sich dann zur Feier des Tages mit einem saftigen Steak zu belohnen?«
    »Daniel, fällt dir nicht selbst auf, dass du bis vor wenigen Wochen der Antichrist in Sachen Umweltverhalten warst? Und jetzt hast du dich in einem unerklärlichen Hormonrausch dem Extremismus am anderen Ende der Skala verschrieben und kritisierst mich, deren erstes Wort nicht Papa und nicht Mama war sondern ›Klima‹?«
    »Dein erstes Wort war ›dada‹, was jeder phonetisch auch nur halbwegs gebildete Mensch eindeutig mit Daniel übersetzen kann.«
    Wir grinsten uns an. Daniel hatte recht und diese Tatsache hatte vermutlich zu dem latent zerrütteten Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir geführt. Mein Vater hatte mir die sprachliche Entgleisung im selben Moment

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