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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nach«, sagte Thomas, während ich in die Bahn stieg.
    Ich hob die Hand zum Gruß oder zur Bestätigung, ich wusste es selbst nicht so genau, dann ließ ich mich auf den Sitz fallen und nickte fast augenblicklich ein.

13
    Zu Hause erwartete mich eine große Überraschung – und zur Abwechslung war sie positiv. Mein Zimmer gehörte wieder mir. Alle Sachen meiner Mutter waren verschwunden, als wäre die ganze Aktion nur ein böser Traum gewesen. Ich hätte heulen können vor Glück und suchte genüsslich bequeme Klamotten heraus, die ich mit ins Bad nahm. Dort allerdings blieb mir das fröhliche Pfeifen im Halse stecken: Die Kosmetikartikel meiner Mutter waren noch immer an Ort und Stelle. War sie etwa doch zu Daniel ins Zimmer gezogen? Das konnte ich mir nicht vorstellen.
    Ich duschte, zog zum ersten Mal in diesem Jahr eine luftige Sommerhose an und setzte mich mit einer Tafel Schokolade auf Daniels Balkon in die Abendsonne. Mamas Sachen waren auch hier nicht zu finden, aber ich zuckte die verspannten Schultern. Das Rätsel des mütterlichen Aufenthaltes würde sich noch früh genug lösen.
    Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn das Nächste, was ich wahrnahm, waren die Stimmen von Daniel und meiner Mutter – beide lachten vergnügt, während sie mich mit halb belustigten, halb mitleidigen Blicken anschauten. Mit steifem Nacken und platt gesessenem Po hing ich auf meinem Stuhl wie ein Affe auf dem Ast im Zoo. Jede Bewegung,um mich aus meiner misslichen Lage zu befreien, den Rücken durchzustrecken und den Kopf wieder in eine aufrechte Position zu bringen, entlockte mir ein gequältes Stöhnen und ihnen neue Heiterkeitsausbrüche. Zwar hatte ich mir gewünscht, dass meine Mutter endlich mit dem Heulen aufhörte, aber dass sie sich dann gleich auf meine Kosten amüsierte, hätte auch nicht sein müssen.
    »Du hast ja so nette Mitbewohner, Kind, ich kann gar nicht verstehen, dass du dich so oft über die beiden beschwert hast.«
    Meine einzige Hoffnung war, dass auch dies noch ein Traum war.
    »Der nette, junge Mann hat sein Zimmer für mich frei gemacht und schläft bei Cornelia, solange ich hier bleiben möchte.«
    Ich fühlte den dringenden Wunsch, meine Finger um Mikes Hals zu legen und fest zuzudrücken. Monatelang hatte ich ihm in den Ohren gelegen, dass ich sein Zimmer haben wollte, aber mir hatte er die Bude nicht gegeben. Daniel wiederum hatte die Behausung aus hygienischen Gründen abgelehnt, aber meine Mutter und Mike waren sich spontan einig geworden? Wie hatten sie in nur einem einzigen Tag Mikes Müllkippe in einen Zustand gebracht, in dem meine Mutter mehr als zwei entsetzliche Sekunden verbringen wollte?
    »Was hat er dafür verlangt?«, nuschelte ich noch halb verschlafen.
    »Verlangt? Nichts. Er ist einfach sehr hilfsbereit.«
    Ich träumte definitiv noch. Mike tat nichts ohne Gegenleistung oder zumindest ohne Hintergedanken. Das würde meine Mutter schon noch merken. Da ich nicht abschätzen konnte, in welcher seelischen Verfassung sie sich aktuell befand, ließ ich sie in dem Glauben, dass Mike ihr aus reiner Nächstenliebe einen Gefallen getan hatte.
    Daniel kam zurück auf den Balkon und brachte drei Weingläser und eine Flasche biologisch angebauten Rotwein von der Ahr mit. Oberflächlich wirkte er ausgeglichen, aber die Blicke, die er mir gelegentlich zuwarf, waren für mich Beweis genug, dass er sauer war. Sehr sauer. Ich war ihm das ganze Wochenende demonstrativ aus dem Weg gegangen und hatte kein Wort mit ihm gesprochen. Heute hatte ich unsere geniale Verteidigung gestartet, er hatte inzwischen mit Sicherheit meine Stellungnahme zu seiner Aktion vom vergangenen Samstag im Radio gehört. Er musste sich maßlos darüber ärgern, dass der Effekt, den er hatte erzielen wollen, nach meinen dreisten Lügen wirkungslos verpufft war. Ich schenkte ihm ein zuckriges Lächeln.
    »Du hast gelogen«, zischte Daniel mir hinter Mamas Rücken zu.
    »Du hättest dir für die Aktion eben eine andere Firma aussuchen sollen«, flüsterte ich zurück. »Wer sich mit mir anlegt, ist selbst schuld.«
    »… hat er mir jahrelang etwas vorgemacht. Eine Geliebte wäre ja noch akzeptabel gewesen, aber ein Mann?«
    Ich stellte fest, dass meine Mutter während unseres kleinen Schlagabtausches ungerührt weitergesprochen hatte. Die Tatsache, dass mein Vater nach fünfunddreißig Jahren Versteckspiel als Schwuler aus dem Schrank gekommen war, hätte mich eigentlich schockieren müssen. Tatsächlich war diese

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