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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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an wie ich ihn und drängelte sich dann durch die Menge, bis er in der ersten Reihe stand. Hatte er hier eingekauft und mich zufällig entdeckt? Es hatte ganz den Anschein, besonders, als er noch einmal mit leichtem Nicken die Augenbrauen hochzog. In seiner unnachahmlichen wortlosen Fragetechnik bedeutete das: »Was, zum Teufel, tust du hier?«. Ich deutete mit einer winzigen Kopfbewegung auf den Kameramann und hob leicht die Schultern: »Ich mache genau das, wonach es aussieht.«
    Papa ließ den Blick nicht von mir, auch nicht, als sich der Mann, der mit ihm über den Markt geschlendert war, neben ihn drängelte und den Arm um seine Hüfte legte. Mir wurde heiß.
    Ich habe nichts gegen Schwule, hatte nie etwas gegen sie und werde nie etwas gegen sie haben – aber meinen eigenen Vater in einer derartigen Situation zu sehen, nachdem ich erst vor achtundvierzig Stunden von seiner Neigung erfahren hatte, das war heftig. Zumal gerade jetzt, wo ich unter den wachsamen Augen meines Chefs vor einer Fernsehkamera stand, um den Verrat meines Bruders mit einer faustdicken Lüge zu vertuschen. Hatten sich denn alle gegen mich verschworen? Warum war ich mit dieser Familie geschlagen?
    Ob Papa wusste, dass Daniel der Urheber der Aktion war und ich jetzt hier lügen würde, dass sich die Balken bogen? Und würde er dann etwas sagen? Nein, nicht hier, nicht öffentlich. Aber später würde er mir ins Gewissen reden, denn auch wenn seine Erziehung uns jede Menge Freiräume zur persönlichen Entfaltung gelassen hatte, so gab es einenGrundsatz, den er mit aller Strenge vertreten hatte, und das war das Gebot der Ehrlichkeit.
    »… Dumme-Jungen-Streich?«
    Häh? Ich hatte überhaupt nicht aufgepasst und jetzt starrten mich sowohl die Fernsehtussi als auch das riesige, dunkel und unheimlich glänzende Kameraauge erwartungsvoll an.
    »Entschuldigung, ich war abgelenkt. Können Sie die Frage noch einmal stellen?«
    »Was, glauben Sie, hat den jungen Mann auf die Idee zu diesem Dumme-Jungen-Streich gebracht? Es muss ja einen Auslöser gegeben haben. Immerhin hat er nicht vor dem Nachbarstand demonstriert.«
    »Es war keine Demonstration«, erwiderte ich reflexartig.
    Rechts war ein Geflügelstand, ich aber drehte den Kopf nach links, wo der Nachbarstand Pfannen verkaufte. »Und eine Verkleidung als Pfanne wäre vermutlich deutlich schwieriger gewesen.«
    Die Umstehenden lachten. Am lautesten lachte mein Vater. Ich bemühte mich, nicht in seine Richtung zu schauen, bemerkte aber trotzdem aus dem Augenwinkel, dass er den Daumen hochreckte.
    Auf diese Art ging es weiter. Ich wich jedem Versuch, mir eine Stellungnahme zum Thema Töten abzuringen, aus und wiederholte die Geschichte vom besonders ausgefallenen Junggesellenabschied. Ich erzählte, dass der Täter sich gemeldet und entschuldigt hätte und den Schaden ersetzen würde. Ich fügte sogar noch hinzu, dass wir uns mit ihm auf eine Ratenzahlung geeinigt hatten, denn die ganze Summe hätte der junge Mann leider gerade nicht flüssig. Dann wurde die Marktverkäuferin um eine Stellungnahme gebeten, die sie weisungsgemäß ablehnte. Insgesamt waren die Informationen und Neuigkeiten so wenig ergiebig,dass ich mich fragte, ob der Sender den Beitrag überhaupt bringen würde.
    Bis mein Bruder auftrat. Plötzlich stand er in seinem Kostüm vom vergangenen Samstag einschließlich quietschgrünem Spielzeuggewehr unter den Zuschauern. Woher hat Daniel von diesem Interview gewusst?, schoss es mir durch den Kopf. Papa war überrascht gewesen, mich hier zu treffen, aber Daniel hatte sich vorbereitet. In seinem Kostüm stand er hier, um mir die Show zu versauen. Mit verschränkten Armen und einem spöttischen Lächeln im Gesicht beobachtete er das verzweifelte Bemühen des Fernsehteams, irgendetwas von Belang über die Angelegenheit in Erfahrung zu bringen. Dann zeigte einer der Zuschauer mit dem Finger auf ihn.
    »Der war’s! Das ist der Typ von Samstag«, rief er so laut, dass es niemand überhören konnte. Die Tontechnikerin wirbelte herum und hielt dem Mann das Mikrofon unter die Nase. Er sah aus wie ein Marktverkäufer, ich glaubte, ihn weiter vorn bei den Eiern und Milchprodukten gesehen zu haben. Mit dem Mikro vor der Nase wiederholte er noch einmal: »Der hat am Samstag die Tiere abgeschossen.«
    »Sagen Sie uns doch bitte Ihren Namen«, forderte die Fernsehtussi nach einer Sekunde der Desorientierung aufgeregt von Daniel. Die Tontechnikerin mit dem Mikro stand noch bei dem Eiermann und

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