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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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machen«, sagte sie, während ich Wasser aufsetzte. Es klang auswendig gelernt.
    »Viele Frauen in meinem Alter finden sich in derselben Situation wieder. Die Kinder aus dem Haus und der Mann …«
    Ich holte eine weitere Handvoll Nudeln aus der Packung.
    »Ich werde mir überlegen müssen, wo ich wohnen möchte, ob ich noch einmal arbeiten gehe oder nur Hobbys pflege. Ich werde ins Theater gehen und mich vielleicht ehrenamtlich für etwas engagieren.«
    All das hättest du schon lang tun können, dachte ich bei mir, sagte aber nichts.
    »Und ich werde endlich einmal nur an mich denken. Nicht an meinen Mann, nicht an die Kinder, die Familie, sondern nur an mich.«
    Das hatte sie schon drauf, ein Blick auf den Berg Erdbeeren, den sie vor meinen Augen verdrückte, genügte.
    »Du trägst gar kein Tuch«, sagte ich.
    »Mit den Tüchern ist es vorbei«, erklärte meine Mutter streng. »Das war vor vielen Jahren mal modern.«
    Schade, in Zukunft müsste ich mir für ihren Geburtstag etwas anderes ausdenken. Es sei denn, sie kehrte von ihrem Selbstverwirklichungstrip zurück, zog wieder zu Hause ein und gab auch ihren Seidentüchern eine zweite Chance. Nicht, dass sie sie wirklich verdient hätten …
    »Etwas abnehmen muss ich auch«, fuhr meine Mutter fort. »Erdbeeren sind da schon ganz richtig.«
    Genau. Und die Sahne half dem Stoffwechsel beim Abspecken.
    »Und morgen gehe ich zum Friseur.«
    Ich unterdrückte ein Stöhnen. Das Mensch gewordene Klischee der verlassenen Ehefrau saß in meiner Küche und lud all seine Sorgen in meinem Leben ab. So wie Daniel seine Spinnereien auf meinem Rücken austrug. Womit hatte ich das verdient?
    Ich arbeitete weiter fleißig an der Verbreitung unserer exotischen Fleischsorten, zum Beispiel indem ich Gastronomen, die unser Fleisch kauften, Informationsmaterial an die Hand gab, das sie in Ihre Speisekarten einfließen lassen oder zur Schulung des Personals nutzen konnten. So gab es Menschen mit Tierproteinallergien, die aber Antilopenfleisch vertrugen. Die meisten wussten allerdings nichts davon, weil sie Antilope noch nie probiert hatten. Da tat Aufklärung not.
    Außerdem erstellte ich eine Liste mit Veranstaltungen, die unsere Zielgruppe interessieren könnten, und suchte Leute, die sie durchführen konnten. Im Alpenverein wurde ich fündig, was einen Vortrag über die Besteigung des Kilimandscharo anging, ein Reiseveranstalter vermittelte mir den Kontakt zu einem Mann, der jedes Jahr ehrenamtlich bei der Zählung von Antilopen in einem Nationalpark half, und der Chef des Reiseveranstalters schlug vor, selbst einen Diavortrag über die unterschiedlichen Landschaften Afrikas zu gestalten, vom Hohen Atlas im Nordwesten bis zu den Weinbergen am Kap ganz im Süden. Mit diesen Vorschlägen wandte ich mich an Restaurantchefs und Hoteliers und gewann viele von ihnen für Kooperationen, in denen die Restaurants die Vorträge in Verbindung mit einem Dinner anboten, das die jeweiligen Spezialitäten auf den Teller brachte.
    Tin-Tin besuchte mich weiterhin regelmäßig nachmittags in meinem Büro und las die Informationsblätter, schautedie Fotos an oder hörte einfach zu, wie ich meine Ideen am Telefon anpries. Manchmal teilte sie ihren Apfel oder eine Möhre mit mir, manchmal auch ein Stück Schokolade. Irgendwann schlich sie dann wieder hinaus, so leise, dass ich ihr Fehlen oft erst bemerkte, wenn ich den Telefonhörer auflegte.
    Ich wurde aus dem Mädchen nicht schlau und so fragte ich Josef eines Abends, als ich das Büro verlassen wollte, ob ich mich ein paar Minuten zu ihm setzen dürfe.
    Er rückte mir den Hocker, auf dem sonst Tin-Tin saß, zurecht und blickte mich besorgt an.
    »Was ist eigentlich mit Tin-Tin los?«, fragte ich geradeheraus. »Hat sie gar keine Freundinnen?«
    Josef seufzte. »Das Mädchen ist schwierig.«
    »Inwiefern?«
    »Seit dem Unfall …« Er schluckte. »Martinas Eltern sind vor einem halben Jahr gestorben. Bei einem Autounfall.«
    Ach du liebe Güte, dachte ich, konnte aber eine entsprechende Bemerkung gerade noch zurückhalten. Josef saß mindestens zwölf Stunden am Tag in dieser Pförtnerloge, wie konnte er sich um ein elternloses Mädchen kümmern?
    Er musste meine Bestürzung bemerkt haben, denn er nickte mit zusammengekniffenen Lippen. »Ich habe sie sehr gern bei mir, nicht, dass Sie mich falsch verstehen, aber ein alter Mann wie ich ist eigentlich nicht der ideale Umgang.«
    Ich hielt den Mund.
    »Martinas Großeltern mütterlicherseits sind sehr

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