Möhrchenprinz - Roman
Kuss. Das kommt auf die Antwort an.«
»Im Kühlschrank«, sagte Thomas. Dann grinste er noch breiter als Daniel. »Kuss?«
Ich stand auf, um erstens im Kühlschrank nach der Mayonnaise zu suchen und zweitens meine Verwirrung zu verstecken. Wollte Thomas wirklich einen Kuss von mir? Oder wollte er mich nur in Verlegenheit bringen? Egal, auf leeren Magen interessierte mich das alles überhaupt nicht. Ich wandte mich dem Kühlschrank zu.
Statt der tierischen Produkte, die heute früh noch alle an ihren Plätzen gestanden hatten, herrschte gähnende Leere.Bis auf das unterste Fach, in dem zwei Schüsseln standen. Ich machte die größere auf. Kartoffelsalat!
»Daniel wollte die Sachen wegwerfen, aber das habe ich verhindert. Damit ist niemandem geholfen«, sagte Thomas. »Und was macht man aus Eiern, Mayonnaise, Sahne und Milch?«
Ich öffnete die zweite Schüssel. Hirsepudding!
»Definitiv Kuss«, sagte Daniel.
Ich strahlte die beiden an, ging um den Tisch herum und drückte erst Daniel, dann Thomas einen Kuss auf die Wange. Thomas drehte seinen Kopf dabei schnell und unerwartet herum, sodass mein Kuss seine Lippen streifte. Ich spürte, wie ich rot wurde. Mein Gott, als hätte ich noch nie einen Kerl geküsst, den ich kaum kannte. Diesen Teil meiner ansonsten recht robusten Natur hasste ich wirklich wie die Pest.
Er grinste mich an. »Ich kann noch mehr kochen.«
Ich gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. »Ich auch.«
Daniel lachte laut. »Sie mag dich, sonst hätte dein Hinterkopf jetzt ein Loch von der Größe eines Gänseeis.«
»Blödmann«, entgegnete ich, während der nächste Blutrausch über meine Wangen zog.
Mit den beiden Schüsseln und einem großen Löffel verzog ich mich auf Daniels Balkon, während die Revolutionäre an unserem Küchentisch weitere Anschläge planten.
15
Am nächsten Morgen begegnete mir eine fremde Frau auf dem Weg ins Bad. Sie erinnerte mich vage an eine Tussi, die ich vor Jahren in irgendeiner Werbung gesehen hatte − ihre Haare waren auf Kinnlänge zum Bob geschnitten und in schreiendem Rot gefärbt. Die Frau schien mich allerdings sehr gut zu kennen.
»Ist es nicht mehr üblich, sich einen guten Morgen zu wünschen?«, fragte sie mit leicht angesäuertem Tonfall, den ich seit frühester Kindheit kannte.
»Mama???«
»Ja, da staunst du, was?«
Sie fuhr sich mit der Hand über das Haar, das im trüben Flurlicht zu leuchten schien.
»Hast du ihn verklagt?«, fragte ich.
»Wen?« Sie wirkte ehrlich verwirrt.
»Den Friseur natürlich.«
»Die Farbe ist etwas intensiver geraten als geplant, aber der Friseur meinte, das stünde mir ausgezeichnet.«
Ja, wenn wir noch Februar hätten und Karneval unmittelbar bevorstünde, hätte der Friseur sicher recht.
»Und ich habe schon positive Reaktionen bekommen.«
Ich verkniff mir die Frage, von wem, denn ich musste mich beeilen. Ich war sowieso schon spät dran.
Ich brachte den Tag hinter mich, obwohl es mit meiner Konzentration heute haperte. Ständig spukte mir der leuchtend rote Pagenkopf meiner Mutter vor Augen herum. Der Tag wurde auch nicht besser, als PS am späten Nachmittag mein Büro betrat. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich seinen Namen wieder gegoogelt hatte und daher wusste, dass er die letzte Woche, in der ich fleißig an der großen Kampagne für das Wildfleisch gearbeitet hatte, bei einer Segelregatta auf Mallorca verbracht hatte. Er sah göttlich aus. Seine übliche Sonnenbräune war noch tiefer, sein Haar von der Sonne gebleicht, seine Schultern schienen mir breiter und seine Hüften schmaler geworden zu sein. Ich hatte ihn vermisst. Und ich fieberte mehr denn je unserer Reise nach Namibia entgegen, die in genau elf Tagen beginnen würde. Dann könnte ich seine Gegenwart eine ganze Woche lang genießen. Ich unterdrückte ein wohliges Seufzen.
»Wie läuft es?«, fragte er, während er mir den Rücken zuwandte, um an meiner Pinnwand die neuesten Fotos und Projektblätter zu studieren.
Die Haltung gab mir die Gelegenheit, seinen knackigen Po in der Designerjeans zu bewundern, was ich ausgiebig tat. Ich riss mich zusammen.
»Gut.« Ich erläuterte ihm die mit den Gastronomen geplanten Aktionen und konnte nur an seinem Nicken erkennen, dass er überhaupt zuhörte.
»Du erinnerst dich sicher, dass du mir bei dem Fernsehtermin auf dem Markt nach Abschluss der Dreharbeiten deinen Vater vorgestellt hast?«
Das Thema traf mich unvorbereitet und erzeugte ein erhebliches Unwohlsein. Von
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