Möhrchenprinz - Roman
Tutz, Volker Tutz, guten Abend.« Mein Vater gab der anwesenden Dame die Hand und setzte sich dann auf den Stuhl mir gegenüber.
»Bettina Haltermann, sehr erfreut.«
Brot, Oliven, Aioli und Wasser wurden gebracht, währenddessen sagte niemand etwas. Ich bemühte mich, nicht zu hyperventilieren und starrte auf den Platzteller aus echtem Silber.
»In welcher Eigenschaft sind Sie denn heute Abend hier?«, fragte Frau Haltermann ziellos in die Runde, während sie nach einem Stück Brot griff. »Ich muss Sie allerdings warnen, ich bin Journalistin und aus beruflichen Gründen anwesend. Alles, was Sie sagen, kann also gegen Sie verwendet werden.«
Sie lachte bei ihren Worten und präsentierte nicht ganz ebenmäßige, naturweiße Zähne unter einer niedlichen Stupsnase. Ihre blonden Haare waren zum Pferdeschwanzgebunden und ihre Kleidung war schlicht und praktisch: Jeans, Leinenbluse und Pullunder.
»Ich bin mit dem Inhaber bekannt«, begann mein Vater, der neben ihr saß. »Sie dürfen mich zitieren, wann immer Sie möchten, denn ich habe klare Anweisungen von Mauro bekommen, was ich sagen darf und was nicht. Zensur also im Vorfeld, das erspart allen Anwesenden späteren Ärger.«
Die beiden verstanden sich auf Anhieb und mir blieb vor Staunen der Mund offen stehen. So weltgewandt war mein Vater bisher nicht aufgetreten.
»Siebendt, sehr erfreut. Ich bin ein Geschäftspartner von Herrn Gantini. Meine PR-Managerin, Frau Tutz.«
Brigitte Haltermann hatte beim Namen Siebendt die Augen leicht aufgerissen und bei der plötzlichen Wiederholung des Namens Tutz zusammengekniffen. Es fiel ihr sichtlich schwer zu entscheiden, welcher Spur sie zuerst nachgehen sollte. Sie entschied sich, wenig überraschend, für PS.
»Herr Siebendt, natürlich, ich hätte Sie gleich erkennen müssen, Ihrem Bild begegnet man ja überall, ob im beruflichen oder im sportlichen Umfeld.«
PS fühlte sich sichtlich geschmeichelt, winkte aber ab. »Für welches Medium arbeiten Sie denn?«
Sie nannte den Namen einer Gourmet-Zeitschrift, in der ich Anzeigen schalten würde. Das Blatt fühlte sich dem gehobenen Segment der Gastronomie verpflichtet, hatte eine entsprechende Aufmachung und daran angepasste Anzeigenpreise. Eine bodenständig wirkende Journalistin wie Brigitte Haltermann hätte ich in dem Umfeld nicht erwartet, denn die Leute, mit denen ich bisher Kontakt gehabt hatte, waren ausnahmslos höflich, aber ein bisschen hochnäsig gewesen.
»Ich schreibe auch über andere Themen und für andere Auftraggeber, aber der erste Bericht über ein neues Restaurantkonzeptist natürlich exklusiv für den Branchenführer.«
»Wie schön, dass die Redaktion gerade Sie geschickt hat«, sagte PS mit einem neckischen Augenzwinkern.
Frau Haltermann lachte. »Ja, nach den ganzen Neueröffnungen von vegetarischen, veganen, Rohkost- oder Sushi-Restaurants darf es gern mal wieder Fleisch sein.«
Ein helles Klingeln lenkte unsere Aufmerksamkeit zu Mauro Gantini, der in der Mitte des Restaurants stand und mit seinem silbernen Ring gegen den Sektkelch geschlagen hatte. Ich warf einen verstohlenen Blick zur Hand meines Vaters. Er trug keinen Ring. Gut so.
Ich erschrak über diesen Gedanken, denn eigentlich hätte am Ringfinger sein Ehering stecken sollen, ohne den ich ihn niemals gesehen hatte. Nichts. Ich schluckte. Vielleicht wurde mir erst in diesem Moment so richtig klar, dass meine Eltern sich getrennt hatten, und zwar für immer.
Dass es für immer wäre, daran hatte ich in diesem Moment nicht den geringsten Zweifel, denn dass Männer nach einem wilden Seitensprung mit einer jüngeren Freundin reuig in den Schoß der Ehe zurückfanden, hatte ich schon gehört. Aber dass ein Mann seine homosexuelle Neigung entdeckte, ihr nachgab, mit einem Lover eine heiße Zeit verbrachte und dann wieder zur Ehefrau zurückkehrte, davon hatte ich noch nie gehört. Ab jetzt gehörte ich nicht mehr zu den wenigen Menschen, deren Eltern seit Ewigkeiten miteinander verheiratet waren, sondern zur Masse der Trennungskinder. Na gut, das war in meinem Alter jetzt ein bisschen melodramatisch, immerhin war ich erwachsen und stand auf eigenen Füßen, aber ich fühlte mich so, und das war ausschlaggebend.
Gantinis Stimme holte mich in die Gegenwart zurück.
»Liebe Gäste, ich habe mich seit Wochen auf diesen Taggefreut und jetzt bin ich glücklich, dass er endlich da ist – und dass Sie da sind!«
Applaus. Puh, das würde ja noch ein langer Abend werden, wenn jeder Satz
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